James Wharram – Multihull-Pionier und Philosoph

Sie sind nicht unbedingt hübsch. Unter dem Begriff „elegante Yachten“ stellen sich die Mitglieder des segelnden Establishments sicher etwas gänzlich anderes vor. Für Liebhaber traditioneller Einrumpfyachten zeigen sie eine vollkommen unverständliche, zumindest ungewöhnliche Formensprache. Oft sind sie relativ einfach gebaut und im Finish eher robust, der Komfort an Bord reicht von „primitiv“ bis „gehobenes Camping“, vielleicht auch mehr auf den grösseren Exemplaren.

Aber diese Wharram-Katamarane haben etwas, das berühmte je ne sais quoi, eine gewisse Aura. Sie sind in entlegenen Ecken der Welt zu finden, meist in flachen Lagunen oder ruppigen Fischerhäfen oder weit flussaufwärts in schlickigen Tidengewässern, hingegen nur sehr selten in teuren und modernen Marinas. Sie sind die Boote der glücklichen Outsider, sie verströmen ein Versprechen vom Abenteuer und ewiger Jugend: kein modernes und domestiziertes „Abenteuer“ mit Satellitentelefon, Mikrowelle und bordeigenem W-Lan, sondern ein freies, pures Hippie-Leben in Einfachheit und intellektueller Unbekümmertheit möglichst unter tropischer Sonne…

Die von James Wharram (1928 bis 2021) entworfenen Katamarane sind in ihrer charakteristischen Formgebung, vor allem aber auch ihrer Einfachheit jedenfalls unverwechselbar. Er nannte sie auch „Doppel-Kanus“, denn die uralten aber seetüchtigen Wasserfahrzeuge der Polynesier waren ihm in seiner Arbeit Inspiration und Vorbild. Ebenso wie der französische Abenteurer Eric de Bisschop (1891 bis 1958), der sein Leben hauptsächlich in der Südsee verbrachte und in den 1930er Jahren am Strand von Waikiki Beach auf Hawaii ein 38 Fuss langes „Doppelkanu“ nach uraltem, polynesischem Vorbild baute. Mit diesem segelte er über den Pazifischen, Indischen und Atlantischen Ozean nach Cannes in Südfrankreich und wurde in gewissen Kreisen berühmt. Als erster „westlicher“ Seefahrer hatte er die Seetüchtigkeit eines Katamarans bewiesen.

Mit einfachen Mitteln wollte Wharram der Natur nahekommen. Seine Boote sollten mit wenig Aufwand und wenig Verbrauch von Ressourcen gebaut werden und damit vor allem auch Menschen mit überschaubaren finanziellen Mitteln zugänglich sein. Die von James Wharram immer wieder betonte und in allen seinen Entwürfen einfliessende Einfachheit bedeute aber noch sehr viel mehr. Zuverlässigkeit und Robustheit, zum Beispiel, und damit auch eine grössere Autarkie, ohne Abhängigkeit von Hochtechnologie und den entsprechenden, professionellen Spezialisten, wenn die nicht mehr so funktioniert, wie sie soll. Vor allem aber sind dies auch Boote, die ihre Seetüchtigkeit eben aus dieser Einfachheit beziehen. Nämlich daraus, dass sie leicht, flexibel und formstabil sind, mit wenig Tiefgang und wenig Windwiderstand. Sie bieten den Elementen kaum Angriffsfläche, rutschen vor brechenden Seen weg und schwimmen auch im gröbsten Sturm so stabil wie ein Floss.

Tausende Menschen weltweit haben Wharram-Katamarane in allen Grössen gebaut und viele davon so ihren persönlichen Traum vom Blauwassersegeln, oder auch nur vom eigenen Boot für die Wochenenden, verwirklicht. Dabei hat James Wharram sehr viel mehr getan, als „nur“ Baupläne von Mehrrumpfbooten zu verkaufen. Er hat eine eigene Philosophie durch diese spezielle Art von Booten vermittelt, eine ganz anschauliche und praktische Vision des einfachen Lebens, innerlich wie äusserlich unabhängig. „Sein eigenes Boot zu bauen und zu segeln gibt, in einer Welt der sich ständig verändernden Werte, eine innere Zuversicht, Stärke und Fähigkeit den eigenen Lebensstil zu leben“, schrieb er einmal.

Geboren wurde er 1928 in Manchester, im rauen Industriegürtel Mittelenglands. Als einziger Sohn eines Bauunternehmers lernte er früh, seine eigenen Ideen zu entwickeln und diese auch zu vertreten. Als junger Mann spielte er längere Zeit mit dem Gedanken, in die Politik zu gehen, um sich für gerechtere soziale Verhältnisse zu engagieren. Sein politisch eher links geprägtes Gedankengut blieb ihm insofern treu, als dass er Zeit seines Lebens ein bissige Kritiker des allzu selbstgerechten und konservativen Establishments war. In der Politik ebenso, wie in den damaligen Segelvereinen und anderen Institutionen des Sports.

In ihrem bewegenden Nachruf auf den im Dezember 2021 im Alter von 93 Jahren verstorbenen James schreibt Hanneke Boon, die letzte seiner vielen, langjährigen Gefährtinnen: „James war ein Wegbereiter, ein Kämpfer, mit grossen Visionen und von ebenso grosser Entschlossenheit. Schon in jungen Jahren folgte er seinen Leidenschaften – für die Berge, für eine gerechte Politik, für intelligente Frauen, um die Meere zu befahren und um zu beweisen, dass das polynesische Doppelkanu ein hochseetaugliches Fahrzeug ist. Und schliesslich, um ein Mann des Meeres zu werden.“

Und weiter: „Diese Leidenschaften machten ihn zu einem Pionier des Katamaransegelns und zu einem weltbekannten Konstrukteur einzigartiger Doppelkanu-Katamarane, die heute alle Weltmeere befahren. Er entwarf diese Boote für Menschen, die aus ihrem alltäglichen Leben ausbrechen wollten, er gab ihnen Schiffe, die sie zu erschwinglichen Kosten bauen konnten, und gab ihnen damit auch die Möglichkeit, Menschen des Meeres zu werden wie er selbst.“

1956/57 schaffte James die erste Atlantiküberquerung in einem Mehrrumpfboot, dem 23-Fuss-Katamaran “Tangaroa”, den er selbst entworfen und gebaut hatte.

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