In 30 Monaten segelte ich, Niklaus Wildisen, von Südfrankreich über Westafrika nach Südamerika und weiter in die Karibik, von wo aus ich Einhand nach Europa zurückgesegelt bin. Davor waren wir fast immer zu zweit oder zu dritt unterwegs. Insgesamt haben mich mehr als 23 Menschen auf diesen 20’000 Meilen begleitet. Das Schiff, ein Wharram Tiki26 Eigenbau, bestach durch seine Einfachheit. Auf einem anderen Schiff wäre diese Reise mit einem Monatsbudget von 300 Schweizerfranken wohl auch nicht möglich gewesen. In einer dreiteiligen Serie berichte ich in WAVE von den Erlebnissen meiner Reise.
Wir sitzen im Cockpit und beobachten gespannt wie der Wind die Oberfläche des Wassers verändert, von 15 Knoten hat dieser innerhalb kürzester Zeit auf 20 Knoten aufgedreht. Wir sind nahe Tarifa und sehen Europäisches und Afrikanisches Festland. Wie wir, passieren mehrere Riesen aus Stahl diese Lücke zwischen den zwei Kontinenten. „Schon verrückt“, sage ich zu Adrien, „vor drei Jahren war ich mit «Wayan» schon einmal hier, es war ebenfalls kalt, so wie heute, aber wir hatten die Aussicht in den Süden zu segeln, nach Westafrika und dann nach Südamerika, da wo sich unsere Wege zum ersten mal gekreuzt haben“.“Weisst du noch in dem Hafen in Salvador?“
Du bist an dem Tag in Brasilien angekommen und warst auf der Suche nach deinem Freund Jules, der ebenfalls auf einem Segelschiff reiste und weil niemand vor Ort englisch sprach, haben sie dich zu mir geschickt. Einer der Hafenarbeiter kam zu mir und sagte: „du sprichst doch diese fremde Sprache, du kannst ihm bestimmt helfen“. Zum Glück teilten wir eine dieser fremden Sprachen. Das war das erste Mal, dass wir uns trafen, im März 2020 in Salvador de Bahia, Brasilien. Gemeinsam haben wir Jules gefunden und du segeltest von da an auf seinem Schiff, der «Venus».
Nach dem ich die letzten Arbeiten an «Wayan» abgeschlossen habe, traf ich Dani auf crewfinder.com und keine zwei Tage später stand er vor mir, „Sieht gar nicht so klein aus wie du mir am Telefon geschildert hast“ lächelte Dani und deutete auf «Wayan». Er hat den ganzen Weg von seinem Zuhause in Santiago de Chile bis nach Salvador mit Autostop und Busreisen hinter sich gebracht. Erst viel später erzählte er mir, dass er zweiter in den Südamerikanischen Meisterschaften im Stabhochspringen wurde. „In Chile habe ich zu wenig Konkurrenz und uns fehlt das gute Material, ich will mein Glück in Deutschland probieren“ erklärte er mir und fügte hinzu, dass er natürlich auch ein Flugzeug hätte nehmen können, aber weshalb nicht den Weg nach Europa für ein kleines Abenteuer nutzen.
Bevor ich mit Dani in die Karibik segelte, wollte ich etwas mehr von Brasilien sehen. Wir planten dafür 1 Monat, es wurde ein halbes Jahr.
Zurück nach Gibraltar, wir segeln mit 25 Knoten Wind und kaum Seegang. Die Strömung, welche mit dem Wind läuft, flacht die Wellenberge vor Tarifa ab.
Adrien, siehst du alle diese Schaumkronen vor uns?! Was ist da los? Es fehlen weniger als 50 Meter bevor wir inmitten dieser Schaumkronen sein werden. Schaumkronen die, wie wir jetzt sehen können, hohe und extrem steile Wellen krönen. Um das Schiff abzubremsen, fieren wir zeitgleich die Gross- und Fockschot und schon krachen wir in die erste dieser Wellen. Der Bug taucht unter einem der Wellenberge ein, während das Heck bereits vom nächsten angehoben wird.
30 Sekunden später ist der Spühlgang vorbei. Unsere Körper sind noch in Schockstarre an das Cockpit gepresst. „Ich hätte nicht gedacht, dass «Wayan» das einfach so wegstecken würde“ entfährt es Adrien, „das erste Mal als ich «Wayan» gesehen habe, hast du mir erklärt wie einzig Leinen die Beams mit den Rümpfen verbinden“. „Der Beweis, dass das hält, habe ich gerade miterlebt, aber als du mir damals alles gezeigt hast, stand das Schiff auf einer Sandbank in Campinho“.“So gut von den Kräften des Ozeans geschützt, gab es kein Beweis, dass dieses Schiff hochseetüchtig ist“.
Es war eine grossartige Sandbank, ein perfekt geschützter Ankerplatz in einem kleinen Inlet, welcher zu einem Mangrovenwald führte, 60 Meilen südlich von Salvador, in einer Bucht mit dem Namen Bahia de Camamu. Wir ankerten vor einer Siedlung, die von allen als Campinho bezeichnet wurde, weniger als 100 Menschen wohnten da. Der nächste grössere Ort Maraú war zu Fuss 6 Stunden entfernt.
Oft konnten wir ohne Dinghy vom und zum Schiff, bei Hochwasser stand das Wasser gerade einmal bis zur Hüfte. Zwei Wochen warteten wir hier bereits auf Nordwinde, als wir ein Telefon von Adrien und Jules erhielten. Die beiden waren zu dem Zeitpunkt noch in Salvador und berichteten uns, wie die Menschen die Supermärkte leer kauften, Gerüchte und Angst über eine allfällige Schliessung der ganzen Stadt verbreitet wurden und wie erste Menschen mit Masken herumliefen. „Uns wurde gesagt, dass die bald die ganze Bucht mit Militärbooten absperren, wie ist die Situation bei euch?“ Dani und ich hatten davon gehört, dass es erste Fälle von Covid in Brasilien gab, aber hier, fernab von jeder Grossstadt, hatte dies noch keinen Effekt auf den Alltag. Ich empfiehl den beiden mit Venus zu uns zu segeln, „wir haben einen kilometerlangen Strand, kiloweise frische Mangos und kennen einen Fischer, der uns ab und zu etwas von seinem Fang bringt, selbst wenn die Regierung entscheiden sollte den Ort ab zu riegeln, wir leben hier im Paradies“.
Fünf Tage später ankerte die «Venus» wenige hundert Meter neben uns. Aber nicht nur unsere Freunde waren in «Campinho» angekommen, die Angst vor dem Virus hat sich nun auch hier unter den wenigen Einwohnern verbreitet und der Fakt, dass gerade zwei weitere Fremde von Salvador angekommen sind, veranlasste zu vielen Gesprächen.
Nur wenige Tage später wurden auch in Campinho Massnahmen gegen die Ausbreitung des Virus beschlossen, es wurden Masken verteilt, wir sollten Abstand halten und dann wurde auch die einzige Strasse, welche an diesen kleinen Ort führte, gesperrt. Zum Glück hatten war dieses Paradies um uns. Wir starteten Kokosnüsse zu sammeln, Baumhäuser zu bauen, zu fischen und vieles mehr. Wir hatten mehrere Hektaren Strand für uns alleine. Doch wir sollten das Paradies schon bald teilen.
„Hat Dani das Buch über Salvador jemals fertig geschrieben?“ fragt mich Adrien, als wir endlich im Lee von Gibraltar etwas ruhigere See auffinden. „Nein noch nicht, der ist im Moment damit beschäftigt, Stabhochsprung zu trainieren (nach dem sich unsere Wege in der Karibik getrennt haben, hat er auf einem anderen Segelschiff angeheuert, den Atlantik überquert und so Europa erreicht). Noch in Campinho hat Dani ganze Tage damit verbracht, Salvador zu interviewen, um mehr über dessen turbulentes Leben zu erfahren. Ich erinnere mich, dass er sich wie folgt vorgestellt hat: „sou Salvador, mas nunca salvei ninguém – ich bin Salvador, aber ich habe noch nie jemanden gerettet“. Das Salvador den selben Namen trägt wie die Stadt in Bahia ist Zufall.
„Sem força, só com concentração – ohne Kraft, nur mit Konzentration“, wir bereiteten eine «Moqueca» für das Abendessen zu und Salvador erklärte mir, wie man mit einem Messer den Saft einer Limette auspressen kann. Davor haben wir in mühsamer Handarbeit Kokosnussfleisch geraffelt, einzig den Reis und das Palmöl haben wir gekauft. Salvador lebt eigentlich in einem Nachbardorf, aber er entschied sich nach dem Ausbruch der Pandemie an den Strand zu ziehen, um mehr Abstand von den Leuten zu gewinnen. Dass da bereits vier Segler waren, hatte er natürlich nicht erwartet. Nachdem er aus einigen Palmblättern ein Dach über dem Kopf gefertigt hatte, freundete er sich mit uns an und zeigte uns, wie man Vieles, was man für den Alltag braucht, aus der Natur gewinnen kann, wie man einen Einbaum paddelt und segelt, Mücken mit Rauch fernhält und eben auch wie man eine traditionelle «Moqueca» auf dem Feuer zubereitet.
Entgegen meiner Vermutung, dass Covid nach höchstens einem Monat keinen Einfluss mehr auf unseren Alltag haben würde, schien sich die Situation nicht auf absehbare Zeit zu verbessern… So schön die Zeit in Campinho mit Salvador war, wir wollten unsere Reise fortsetzten.
Es war nicht einfach den Entschluss zu fassen, weiter zu segeln. In Campinho haben uns alle davon abgeraten „ihr werdet in keinen Ort reingelassen werden, vielleicht wird euch sogar die Küstenwache abhalten an die Küste zu segeln“.
Als wir dann doch die Segel setzen, sahen wir wie Leute die Köpfe schüttelten und langsam wurde unser Strand, welcher zwei Monate unser Zuhause war, kleiner und kleiner. Eine Woche war ich mit Dani auf offener See. Wir nutzten den Nordwind aus, um bis nach Espirito Santo zu segeln. Dann kam der Moment der Wahrheit, werden wir an Land können, wird es uns gestattet sein zu ankern?
Wir durften sowohl ankern als auch direkt an Land, die Läden waren mehr oder weniger normal geöffnet und der Zugang zur Stadt gewährleistet. Bis wir wieder Nordwind hatten, vergingen aber wieder drei Wochen und so wurde unser Aufenthalt in Brasilien nochmals etwas länger als geplant. Aber so ist es mit Plänen beim Segeln, sie sind wie bei Ebbe in den Sand geschrieben…
Damals war es Südwind der uns aufgehalten hat, ironischerweise ist es heute Nordwind, der uns bremst, nach Gibraltar weiter bis nach Barcelona zu segeln. Wir machen einen Stopp hier in Cartagena. Ich bin gespannt, welches Abenteuer hier auf uns wartet.
FORTSETZUNG FOLGT
In der dreiteiligen Serie in «Wave» berichte ich von Erlebnissen meiner Reise. Wer sich tiefer damit beschäftigen will, findet viele weitere Informationen auf meiner Website exploratio-mundi.ch.
Mit maryvent.ch habe ich einen Partner gefunden, mit dem ich ab diesem Jahr Ausbildungs- und Ferientörns anbieten werde, sowohl für SeglerInnen wie auch für Leute, die diese Welt neu entdecken möchten. Ab 1’000 Franken die Woche bieten wir neben Segeln auch Kombinationen wie Segeln und Yoga, Segeln und Kiten sowie Segeln und Kulinarik an.
www.exploratio-mundi.ch, www.maryvent.ch und www.mer-bleue.ch
T: Niklaus Wildisen
F: Niklaus Wildisen