Es liegt ganz am Ende von Long Island – danach kommt nur noch der Atlantik. Ein besonders romantischer Ort, an dem der Schriftsteller Max Frisch eine späte Affäre erlebte und daraus ein Buch machte: Montauk. Eine Spurensuche am Long Island Sound.
„Ich möchte diesen Tag beschreiben, nichts als diesen Tag, unser Wochenende und wie’s dazu gekommen ist, wie es weiter verläuft. Ich möchte erzählen können, ohne irgendetwas dabei zu erfinden“, ein relativ simpler Kommentar für einen grossen Wurf der Weltliteratur.
Max Frisch ging es in seiner Erzählung „Montauk“ darum zu reflektieren, preiszugeben, sich zu erinnern und vor allem nicht das Jetzt zu kommentieren, sondern geschehen zu lassen. Der kleine Ort auf der schmalen Insel Long Island, den er für seine autobiographische Geschichte gewählt hat, lädt dazu ein. Denn der verschlägt einem die Sprache, lässt den Besucher eintauchen in die Welt da draussen, sie aufsaugen oder besser inhalieren, wie das Salz in der Luft, dass die Lungen öffnet und den Kopf von all den Absurditäten des Alltags befreit. Hier muss man nicht kommentieren, hier kann man sich fallenlassen in den weichen Sand des endlosen Strandes. Der Blick schweift in die Ferne, vom „Ende der Welt“ hinaus in Richtung Horizont. Hier kommt erst einmal ganz lange nichts, gar nichts. Auf Europa stösst man nach langen Wochen, setzte man die Segel, verliesse man den sicheren Hafen. Das kann man machen, muss man aber nicht und sollte man höchstens erst nach einer längeren Verzögerung. In dem kleine Village muss man bleiben und sich vor allem mehr Zeit nehmen als nur ein Wochenende.
Ob Max Frisch es nicht wagte, mit seiner jungen Kurzzeitgeliebten länger zu bleiben? Oder wollte sie, Lynn, vielleicht nicht ihren Urlaub nicht opfern für mehr Zeit mit dem knapp 33 Jahre älteren und hoch dekorierten Schriftsteller? Freie Tage sind in den USA kostbar. Gefragt hat sie ihn nicht, ob sie länger bleiben wollen als ein viel zu kurzes Wochenende. Warum nur zwei Tage? Man weiss es nicht, doch auf alle Fälle sind das zu wenige für diesen Ort. Doch Lynn könnte wiederkommen, den Ausflug neben ihrem Verlagsjob zur Wochenendroutine werden lassen. Von New York ist es schliesslich nur ein Katzenspring. Zweieinhalb Stunden fast immer geradeaus mit dem Auto. Die stylisch silbrig glänzende Long Island Rail Road braucht drei Stunden bis zu ihrer Endstation – Montauk. Eine Fahrt durch Landschaft, durch viel Landschaft, vorbei an amerikanisch gepflegten Bungalows mit akkurat geschnittenem Rasen und doppelt gesicherten Trampolins, durch hohe lichte Pinienwälder, über sandigen Boden, zwischen zwei „Meeren“, dem offenen Atlantik und dem geschützten Sound. Long Island wird einmal der Länge nach durchquert. Auf dem Rückweg geht es zurück ins tosende Leben, zurück in die Stadt, die niemals schläft, zurück in die „city“, wie New York von den Montaukians genannt wird. Auf dem Hinweg nähert sich der Reisende dem Ende – „the End“ von Long Island und der Welt.
Der Leuchtturm der Liebe
„Das Ende“ ist entspannt. Liegt das an seiner Lage auf dem östlichsten Zipfel, an dem „hier geht es nicht mehr weiter“, an der Auseinandersetzung mit der Natur, mit der Kraft des Meeres, an der Gewissheit, dass hier am äussersten Zipfel der älteste Leuchtturm des NY-States steht und schon seit 225 Jahren in die Welt hinausleuchtet und Ankommenden den Weg zurück in den sicheren Hafen zeigt? Vielleicht. Jedenfalls hat Montauk es geschafft, entspannt, relaxed, fast bodenständig zu bleiben – zumindest, was die Stimmung angeht. Hier cruised man lieber mit einem Pickup voller Surfbrettern durch die Gegend, statt den frischpolierten Rolls Royce auszuführen. Montauk ist „down to earth“ und das hat seinen Preis. Immer schon. Auch schon damals als der bekannte und erfolgreiche Schriftsteller Max Frisch mit seiner letzten Geliebten das Besondere abseits der Grossstadt suchte.
„ Man könnte auf der Loggia sitzen und schauen, wie es ins Meer regnet…“
Aber es lohnt sich und die Wahl war perfekt. Gurney’s Inn, das Hotel gibt es immer noch, mit hölzernen Treppen zum Strand – „Er freut sich, wenn sie die hölzerne Treppe hinunter kommt von dem hölzernen Hotel, denkt er nicht an die Nacht; er sieht sie hüpfen auf der Treppe…“ (S. 105) – mit Meerblick und leuchtendem Sonnenaufgang, der sich über die Weite der See dem Land nähert. Gerade erst angekommen aus Europa, dankt man bei dem Anblick dem Jetlag, der einen früh aus den Federn jagt. Schon länger in den Staaten, dann sollte man sich unbedingt den Wecker stellen, um Meer und Himmel zusammen leuchten zu sehen. Und vielleicht kreuzt auch noch ein Fischer ganz fotogen im perfekten Moment den Sonnenkurs. Montauk ist schliesslich ein „Wasserort“, Hochburg der Segler, Angler und Surfer. Lässig und naturverbunden wie die Bretagne. Weder das Lebensgefühl noch das Seafood braucht sich vor der europäischen Konkurrenz zu verstecken. Ob „catch of the day“ (wirklich ganz frisch), Sushi, heimischer Hummer oder „local oysters“. Die standen auch schon auf dem Speiseplan der indigenen Bevölkerung. Die Montaukett, die zu dem Stamm der Metoac-Indianer gehörten, siedelten hier. Ihnen verdankt das 4000-Seelen-Dorf auch seinen Namen. Ihre Eigenbezeichnung bedeutet allerdings so viel wie „hügeliges Land“. Hier draussen ist das Land eher flach und höchstens noch dünig. Doch zum Atlantik fällt es als Steilküste gen Strand und Meer. Schon wieder taucht beim langen Spaziergang ein Vergleich ganz automatisch auf: Sylt, das rote Kliff, die Ecke so ums teure Kampen. Auch das passt, allerdings ist das Leben in Montauk noch immer tiefenentspannt. Der Luxus der Hamptons ist zwar schon hinübergeschwappt, doch ist es gibt es sich reduziert, natürlich und wild. Ein wenig erinnert der Ort an einen kleinen rohen Edelstein, ungeschliffen und noch nicht in die Fassung geklemmt. Surfer paddeln hinaus zu den Wellen oder schlurfen in ihren flappenden Flip-Flops durch die Strassen.
Das St. Tropez von New York, da fehlt auch die Prominenz nicht. Ob Calvin Klein, Robert de Niro, Julian Schnabel, Andy Warhol. Montauk hat sie alle gesehen, manche sind geblieben, untergetaucht in eine noch „normale“ Welt, in der die Natur geschätzt wird.
„Hier bei uns ist alles entspannter, wilder als in den Hamptons, in South Hampton oder East Hampton und wir haben einen funktionierenden Naturschutz, den schätzen wirklich alle. 75 Prozent des Landes dürfen nicht bebaut werden, das ist einmalig auf Long Island. In den Hamptons ist es genau umgekehrt. Da sind gerade einmal 25 Prozent geschützt“, schwärmt Frans, niederländischer Broker aus New York mit Zweitwohnsitz in Montauk. Eine hilfsbereite Zufallsbegegnung, mit Billy Joel und Ralph Lauren als Nachbarn und einem SUV, mit dem er uns trotz sandigen Hosenaufschlags einen Transfer vom Strand ins Zentrum anbietet. Offen und irgendwie normal geblieben, auch das ist Montauk. Ein Rückzugsort.
Die Natur ist wild, am Wasser genauso wie weiter drinnen im Land, dort wo dichtes Gebüsch sich dem Wind entgegenstemmt und dabei hin und wieder die Aussicht, den angepriesenen „overlook“ versperrt.
„Ein Schild, das Aussicht über die Insel verspricht: Overlook. Es ist sein Vorschlag gewesen, hier zu stoppen…Sonnig. Büsche und Gestrüpp um den leeren Parkplatz; keine Aussicht also, aber es gibt einen Pfad… sie geht voran; sie duckt sich da und dort unter den wirren Ästen, und er duckt sich unter den selben Ästen, wenn sie schon wieder aufrecht geht noch immer durchs Dickicht.“
“Ihre Bluejeans sind bis zu den Waden gekrempelt; ihr Gesäss in der knappen Hose, die sie ohne Gürtel trägt, und in der Seitentasche steckt ein Kamm. … Ihr Haar, wenn sie es offen trägt, reicht bis zu den Hüften; jetzt hat sie es hochgeknotet, ein roter Rossschwanz, der beim Gehen pendelt.“
Es ist heiss zwischen dem Gestrüpp, abseits vom Meer, doch im Winter schaffen es die Stürme auch bis hierher. Im Westen, im Long Island Sound oder zwischen Festland und Insel in der Napeague Bay oder der Fort Pond Bay ist es dann geschützter. Noch ruhiger fühlt es sich am Lake Montauk an. Mit Zugang zur Bay bietet er den Yachten, Motor- genauso wie Segelyachten ein ruhiges Liegen. Hier sind die Yachtclubs Zuhause und runden das Wassersportbild am „Ende“ ab.
Einfach auf den Terrassen der Restaurants setzen – vom Inlet Seafood hat man den perfekten Blick auf die schmale Einfahrt in den „See“ – einen einheimischen Rosé geniessen, eine Auster schlürfen, Scallops bestellen, den Yachten beim Ein- und Auslaufen zuschauen und einfach nur sein. Das „Immer weiter, immer vorwärts“ macht Pause an einem Ort an dem die Welt zu Ende ist.
T: Kirsten Panzer
F: Adobe Stock/Kirsten Panzer