Sardinien ist die Insel mit den tausend Gesichtern. «La Sardegna» bietet vor allem im Süden noch genug Entdeckungsmöglichkeiten mit einem entscheidenden Vorteil: Wer den italienischen Hauptreisemonat August umgeht, wird sich selten mit dem Problem überfüllter Marinas und Häfen herumschlagen müssen.
Als Startpunkt haben wir Alghero gewählt. Unser Boot liegt am Schwimmsteg der kleinen Marina Ser-Mar an der Nordmole. Check-in und Briefing, Einkaufen im nahen Supermercato und Kabinen beziehen gehören zum Pflichtprogramm. Gegen Abend dann beginnt die Kür mit einem Rundgang durch die pittoreske Altstadt. Die zweisprachigen Gassenschilder in Spanisch (Katalanisch) und Italienisch zeugen von den spanischen Herrschern, die im 14. Jahrhundert in Alghero einfielen. Bis 1848 durfte kein Sarde in der Stadt wohnen, lediglich zum Arbeiten waren sie zugelassen. War man abends nicht ausserhalb der Stadtmauern, drohte die Todesstrafe. Da haben wir es heute besser und geniessen den Tramonto (Sonnenuntergang) an der Uferpromenade, inmitten von Palmen, alten Kanonen und mit Blick auf den Hafen und das Meer.
Am nächsten Morgen geht es planmässig früh los, das Etmal von 50 Seemeilen bis nach Oristano steht auf dem Tagesprogramm. Der Wind kommt für einmal wie bestellt: ein konstanter Maestrale schiebt uns auf Südkurs der felsigen Küste entlang. Die Stromversetzung in den nächsten Stunden ist beachtlich, wir schaffen es nur knapp, uns von den Klippen von Capo Marargiu freizuhalten. Wir machen aus der Not eine Tugend und steuern nach dem Kap die kleine Bucht beim Torre Argentina an. Unsere Jungmannschaft freut sich über den Badestopp und wir werden unser schlechtes Gewissen über den langen Schlag gleich am ersten Segeltag los. Danach Anker hoch und vorbei an Bosa, einem der wenigen (Mini-)Häfen an diesem Küstenabschnitt.
Bald peilen wir Capo San Marco mit seinem markanten Leuchtturm an. Der Wind schläft langsam ein und wir beschliessen, gleich hinter dem Kap vor den Ruinen von Tharros zu ankern. Von der einst mächtigen phönizischen Handelsstadt und ihrer höchsten Blüte unter den Karthagern ist leider nicht mehr viel zu sehen. Aufgrund der vielen Sarazanenüberfälle gründeten 1000 nach Christus die Bewohner 20 Kilometer landeinwärts Oristano. Für den neuen Stadtbau verwendeten sie Material aus Tharros. Die Schätze aus den 1851 entdeckten Grabkammern gingen ins Britische Nationalmuseum und Schatzgräber zerstörten wohl den Rest der Relikte. Trotzdem: Wenn der Mond über Capo San Marco aufgeht, hilft die spezielle Atmosphäre der Szenerie der Phantasie auf die Sprünge und man sieht sich im Geiste neben antiken Handelsschiffen ankern… (vielleicht liegt es aber auch nur am dunkelroten sardischen Bordwein..).
Ein Abstecher nach ‘Ligurien’
Fast wie ein Touristenbus haken wir zwei weitere Musts ab: Cala Domestico, ein Bilderbuch-Fjord, den wir jedoch der einlaufenden Dünung wegen ohne Badestopp passieren müssen. Und der obligate Fotostopp bei der nächsten Sehenswürdigkeit, dem Pan di Zucchero, der durch seinen Namen die Verwandschaft mit dem Zuckerhut in Rio de Janeiro unterstreicht. Nur steht der sardische Vertreter als kahle Klippe vor einer imposanten Steilküste.
Noch rasch ein Blick werfen auf die Industriedenkmäler der verlassenen Bergewerke und wir nehmen Kurs auf die Insel San Pietro. Dabei passieren wir noch die Inselchen die Meli, iana und Ratti und sind bereits mitten in der Fahrrinne des Canale di San Pietro. Hier ist Vorsicht geboten, es wimmelt nur so von Untiefen und die Betonnung ist nicht immer zuverlässig. Ein Mann (resp. meine Frau) am Bug, wache Augen (die Töchter) auf GPS und Echolot, ein Skipper (ich) mit einer anständigen Seekarte, kombiniert mit einer guten Dosis Vorsicht – das Konzept geht auf und wir laufen im weiten Hafen von Carloforte ein. Von den vielen Liegeplatzmöglichkeiten ziehen wir die Marina Sifredi vor – gute Erinnerungen an einen Törn Jahre zuvor.
Carloforte ist eine kleine Welt für sich. Die Stadtkulisse erinnert eher an die ligurische Riviera und auch die Bewohner sprechen einen untypischen Dialekt. Sie sehen auch gar nicht so sardisch aus… Ein Blick in die Geschichte klärt auf: Genuesische Fischer siedelten sich im 15. Jahrhundert im nordafrikanischen Tabarka an. Der ständigen Bedrohung durch dortige Piraten ausgesetzt, flohen sie 1737 wieder nach Norden zurück und liessen sich auf der seit dem 11. Jahrhundert verlassenen Insel San Pietro nieder. Da ihr Vorhaben vom damaligen Herrscher Carlo Emanuele von Piemont unterstützt wurde, nannten sie den Ort aus Dankbarkeit Carloforte. Wir gönnen uns einen Ruhetag und geniessen das Städtchen. Am Nachmittag machen wir uns dann aber doch ganz sportlich mit Velos auf in den Süden der Insel, denn der Strand von Spalmatore ist auch vom Land aus auf jeden Fall einen Besuch wert.
Sand in Sicht
Liegt es am gelungenen Abendessen oder an der relaxten Ferienstimmung, die uns bereits voll eingenommen hat? Aus früh ablegen wird nichts, lieber kaufen wir als Andenken noch ein Glas ‘Bottarga di Muggine gratugiata’. Die Bottarga wird als sardischer Kaviar bezeichnet und ist von Meeräschen gewonnener Rogen, der getrocknet, gepresst und so konserviert wird. Sie eignet sich hervorragend für schnelle Pastagerichte. Noch ein Espresso, dann Leinen los und wieder vorsichtig durch den Canale navigieren, Südspitze umrunden und Ende Nachmittag Einlaufen in die Bucht von Porto Pino. Schon von weitem erspähen wir viel weissen Sand, der sich beim Näherkommen als Strand mit bis zu 40 Meter hohen Dünen entpuppt. Auch die Farbe des Wassers ändert sich bei der Annäherung. Das helle Smaragdblau lässt uns auf viel weniger Wassertiefe schliessen, ein ungläubiger Blick auf das Echolot bestätigt aber noch immer 9 Meter Tiefe. Leider ist der südliche Teil der Bucht Sperrgebiet, wir legen uns aber dank genauem GPS ganz nah an die Demarkationslinie. Dass später gleich drei Yachten mitten im Sperrgebiet ankern, wundert uns wenig, schliesslich sind wir in Italien. Beim Strandgang löst sich jedoch das Rätsel: Wenn keine Schiessübungen angesagt sind, kann man es eigentlich locker nehmen. Vor allem, wenn sich der Schiessdirektor höchstpersönlich zum Feierabendbier (1. Präferenz: das einheimische Ichnusa) in der Strandbar einfindet und Entwarnung verkündet. Anders, wenn sich die Nato austobt, da wird auch mal die Zone bis zu 12 Meilen ins Meer raus ausgedehnt. So missachten wir als frisch informierte Insider die militärischen Warnschilder in den Dünen und tummeln uns mit Genuss in der feinsandigen Hügellandschaft.
Der nächste Tag hat Porto Teulada zum Ziel. Dabei gilt es, das imposante Capo Teulada zu umschiffen. Bei Mistral ist es ratsam, gehörig Abstand zu halten, die Fallwinde vom 223 Meter hohen Kap sind Turboversionen des Nordwindes. Heute ist alles ruhig und wir bleiben nah am Kap. Porto Zafferano ist wiederum eine Bilderbuchbucht, Ankern ist leider verboten: auf ihrem Grund liegen unzählige nicht detonierte Natogeschosse. Wehe dem Glückspilz, der trotzdem seinen Anker genau auf einen Blindgänger setzt! Wir segeln noch an der Isola Rossa vorbei und machen alles klar zum Einlaufen in Porto Teulada. Die Ortschaft selbst liegt 8 Kilometer weiter im Landesinneren, also versorgt man sich im Minimarket des angrenzenden Campingplatzes, wo es auch ein Ristorante mit Pizzeria gibt. Kulinarisch spannender ist da sicher die Variante ‘Agroturismo’: Anruf genügt und man wird mit dem Auto abgeholt und zu einem Bauernhof gebracht. Da kann man sich all die Köstlichkeiten auftischen lassen, für welche Sardinien bekannt ist: ‘Porceddu’ (Spanferkel), ‘Malloreddus’ (eine Teigspeise wie etwa Gnocchi), Hausgemachtes (Brot, Käse) und sardischen Wein sowie Süssspeisen wie z. B. ‘Candelaus’ (aus Mandeln, Nüssen und Honig) oder zum Abschluss einen ‘Fil u ferru’ (Grappa).
Völlig stressfrei legen wir dann für das nächste Tagesziel ab. Nach ein paar Schlägen in Südbrise laufen wir Mitte Nachmittag bereits in die Bucht zwischen Capo Malfatano und Capo Spartivento ein. Wir entscheiden uns für den Teil rechts hinter dem Inselchen Tuareddu. Als der Anker fällt, schauen wir uns um. So sieht ein Traumplatz aus: eine geschützte Bucht mit malerisch vorgelagerten Inselchen, weisser Strand mit sanft abfallender Sandzunge, ideal für tendermässiges Anlandgehen. Am Strand eine einfache Bar und eine Handvoll relaxter Menschen, gute Musik… wir fühlen uns wie in einem karibischen Werbespot.
Am Morgen danach das böse (frühe) Erwachen: der Himmel ist untypisch grau, der Schwell in der Bucht lässt draussen nicht viel Gutes erwarten. Auch macht Capo Spartivento seinem Namen alle Ehre. Kaum umrundet, verwandelt sich der Südwester in einen Südöstler und wie beim Segeln so üblich, immer voll auf die Nase. Wir kreuzen hoch bis Punta Nuora und ankern im relativ geschützten Nordwest-Teil für eine kleine Verschnaufpause, bevor wir den letzten Schlag nach Cagliari unter den Kiel nehmen. Die geringe Wassertiefe des Golfes stellt die Wellen kurz und steil auf. So sind wir nicht unfroh, abends später als vorgesehen im geschützten Stadthafen einzulaufen. Den Altstadtbesuch verschieben wir deshalb auf den nächsten Tag, gönnen uns aber noch einen Besuch der Piazza Yenni mit ihren vielen Bars und Restaurants, bevor dann die Kojen locken.
Furat che viene da o mare
Als wir am nächsten Morgen auf der Panoramaterrasse der Bastion Saint Remy stehen verstehen wir, warum Cagliari schon immer eine umkämpfte Stadt war: der Golf bietet einen perfekten Schutz, die Lage zwischen den Balearen und Sizilien war idealer Pitstopp der seefahrenden Mittelmeervölker. Meist kam das Böse vom Meer her, treffend im sardischen Sprichwort formuliert «Wer übers Meer kommt, will uns bestehlen». Deshalb liegen viele Ortschaften nicht direkt am Meer, sondern ein paar Kilometer weiter im Inselinnern. Zuerst siedelten sich die Phönizier am Engelsgolf an, die Karthager machten eine Stadt daraus, unter den Römern entstand ein blühendes ‘Municipium’, doch verlor Karalis (wie Cagliari früher hiess) mit dem Niedergang des Römischen Reiches viel von seinem Glanz.
Kurs Karibik
Nach Kultur und kunterbuntem Treiben zieht es uns wieder aufs Meer. Vorbei am ‘Teufelssattel’ segeln wir dem Stadtstrand Poetto entlang und nehmen zwei weitere Inseln ins Visier: Isola dei Cavoli und Isola Serpentara liegen an der Südspitze Sardiniens. Beide gehören zum Naturpark Capo Carbonara, die Navigation in den A-, B- und C-Zonen unterliegt genauen Vorschriften. Wir legen uns vor den Strand des Porto Giunco und hoffen auf friedliches Wetter, um möglichst lange hier bleiben zu können. Denn wenn Wind und Strömung richtig stehen, verwandelt sich die Bucht in ein karibisches Farbenparadies: Vor dem langgezogenen weissen Sandstrand gibt’s dann glasklares Wasser (dank zum Teil starker Strömungen) in allen Abstufungen von helltürkis bis dunkelblau – genau so stellt man sich karibische Traumstrände vor. Und dabei liegt dieses Paradies nur 1,5 Flugstunden von zuhause entfernt…
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Kiriacoulis Mediterranean mit Basis in Olbia über My Charter AG, Theaterstrasse 12, 8001 Zürich, www.mycharter.ch
Text: Stefan Detjen
Fotos: Regina Detjen/Unsplash