Eigentlich ist alles Richard Bransons Schuld. Das Blaue Band für die schnellste Transatlantikpassage war zu Zeiten der grossen Ozeandampfer noch eine prestigeträchtige Auszeichnung. Doch mit dem Aufkommen der Flugreisen gewöhnte man sich an neue, kürzere Reisezeiten. Die Bestleistungen der stolzen Steamers gerieten in Vergessenheit – bis Sir Branson zu Werbezwecken über den Atlantik bretterte und Nachfolger auf den Plan rief. Der italienische «Destriero» hält seit 30 Jahren den bis heute gültigen Rekord. Ein Rückblick.
Der Rekord für die schnellste Atlantiküberquerung, das Blaue Band, wurde jahrzehntelang von der SS United States gehalten, dem letzten der grossen Hochgeschwindigkeitsschiffe. Das Schiff wurde später im Hafen von Norfolk, Virginia, eingemottet und die Hales Trophy, die es gewonnen hatte, verstaubte im American Merchant Maritime Museum. Trotz der Rekordversuche eines amerikanischen Teams in den siebziger Jahren war das Interesse am Transatlantikrekord erlahmt. Niemand interessierte sich dafür, weil jeder flog.
Aber Branson wollte, dass alle mit seiner neuen Fluggesellschaft Virgin Atlantic fliegen. Also machte er sich 1985 daran, mit dem Speedboot «Virgin Atlantic Challenger» das Blaue Band zu erobern und mit dieser Publicity-Aktion für die eigene Fluggesellschaft zu werben. Das erste Ziel scheiterte (das Boot, ein 65 Fuss Cougar Catamaran, sank 120 Meilen vor Land’s End), aber das zweite gelang ihm so gut, dass sich gleich mehrere Anwärter auf die Jagd machten. Branson versuchte es erneut (diesmal erfolgreich mit einem 72 Fuss Alu-Monohull), gefolgt von dem amerikanischen Millionär Tom Gentry, der ebenfalls zwei Versuche unternahm. Die «Sea Cat» von Hoverspeed schaffte die Überfahrt in neuer Rekordzeit, die italienische Azimut Atlantic Challenger scheiterte genau so wie das französische Boot Jet Ruban Bleu. Und so wie sich die Teilnehmerzahl vermehrte, hatten sich auch die Preise multipliziert: Es gab jetzt vier verschiedene Trophäen für die schnellste Atlantiküberquerung.
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Auch in Italien fühlten sich die (Einfluss-) Reichen und Mächtigen zur Wettfahrt herausgefordert. Das Land südlich der Alpen erlebt in diesen Jahren einen Höhenflug, und der schiffsbegeisterte Aga Khan (Initiant der Costa Smeralda und Präsident des Costa Smeralda Yacht Clubs) verbindet sich mit Fiat-Boss Giovanni Agnelli und Franco Nobili, Präsident der staatlichen italienischen Industrieholding IRI. Weiter im Boot waren Umberto Nordio (Alitalia) und Arrigo Gattai (Coni) sowie namhafte Sponsoren wie Agip, General Electric, MTU und KaMeWa.
«Destriero» (Übersetzung „Kriegspferd“) heisst der Rekordjäger, der zwischen 1990 und 91 in den Werften von Fincantieri in Muggiano und Riva Trigoso trotz Streiks in 270 Tagen gebaut wird – bereits ein erster Rekord. Entworfen von Donald Blount und von Ferrari-Designer Pininfarina sexy gestylt, ist der 67,7 Meter lange und 400 Tonnen schwere Aluminiumrumpf das bis dahin grösste jemals gebaute Leichtmetallschiff – schon wieder ein Rekord. Auch an Power fehlt es nicht. Der Destriero wird mit den gleichen Jetturbinen eines FA-18 Hornet Kampfjets angetrieben – der Fighter hat für die doppelte Schallgeschwindigkeit nur zwei, Destriero aber deren drei.Die drei Triebwerke von General Electric leisten 54.000 PS und speisen die Hydrojets, die eine 2 Kilometer lange Gischtspur im Meer zurücklassen.
Cesare Fiorio, der 52-jährige ehemalige Sportdirektor des Ferrari-Grand-Prix-Teams, der die Destriero-Herausforderung organisiert und leitet, macht den Unterschied zu den Herausforderern der Generation Branson klar: “Es ist kein Motorboot, es ist ein Hochseeschiff”. Die relativ kleinen Rennboote von Branson und Gentry mussten sogar unterwegs tanken.
Die Technologie der Destriero war nicht neu – der Aluminiumrumpf, die Turbinen und das integrierte Navigationssystem sind bereits bekannt – aber nicht in diesen Dimensionen. Fiorio sagt, “niemand hat jemals zuvor 65 Knoten in einem 67-Meter-Schiff erreicht”.
Die ersten Testfahrten zeigen das Potential des Schlachtrosses. Auf einer fast völlig flachen See beschleunigt der Destriero bereits auf 59 Knoten – knapp unter ihrer Höchstgeschwindigkeit, aber undramatisch wie ein komfortabler Intercity-Zug. In ihrem Bauch wird der Treibstoff mit einer Geschwindigkeit von 8000 Litern pro Stunde aus dem 750.000 Liter Tank in die Turbinen gesaugt, oben auf der Brücke wandern die meisten der 14-köpfigen Besatzung in ihren Rennoveralls einfach von einem Alcantara-Sitz zum anderen. Das lauteste Geräusch ist das Summen der Computer. Auf insgesamt 16 Bildschirmen werden die Informationen der beiden Bordcomputersysteme angezeigt. Eines steuert die Motoren und die drei Hydrojets, das andere ist für die Navigation zuständig und so ausgeklügelt, dass es das Schiff nicht nur auf einem programmierten Transatlantikkurs hält, sondern auch vor Hindernissen wie Schiffen und Gefahren warnt (erstere in einer Entfernung von 96 Meilen). Und sogar Vorschläge macht, wie eine Kollision zu vermieden ist.
Der Destriero war bereits im April 1991 fertig und der Rekordversuch sollte im gleichen Jahr starten. Der Golfkrieg zwang den Prinzen, seine Pläne zu ändern. Ein Jahr darauf wird der im Juni geplante Start verworfen, da das Wetter nicht mitspielt. Der Aga Khan entschied sich dann für den Juli, unmittelbar nach der Befreiung des kleinen Farouk Kassam, der in Porto Cervo entführt worden war. Es war nicht die richtige Entscheidung, denn nach 300 Meilen kommt ein Sturm auf und der Rekordjäger verliert wertvolle Stunden, um ihn zu umfahren.
Der Versuch wird von West nach Ost wiederholt. Am 6. August lässt die Crew das Ambrose Lighthouse in New York hinter sich und gibt Gas. Es folgen zwei verrückte Tage, mit Spitzengeschwindigkeiten von 66 Knoten und einem Durchschnitt von 53,09 Knoten. Am Tag vor der Ankunft war der Branson-Rekord von 1986 bereits gebrochen, aber die Italiener sind auf der Suche nach dem ultimativen, unschlagbaren Rekord. Cesare Fiorio gibt dem Maschinenraum den Befehl, auf volle Kraft zu gehen – die letzten Stunden rast die Destriero mit 66 anstatt mit 53 Knoten übers Meer. Wenn schon Rekord, dann richtig.
Und im Morgengrauen des 9. August, nach 58 Stunden und 34 Minuten, funkt Capitano Florio den Leuchtturm von Bishop Rock an: “Hallo, hier ist das Schiff Destriero, wir haben New York verlassen, danke, dass Sie das Datum und die Uhrzeit unserer Durchfahrt notieren.” “Guten Morgen Destriero, wir haben Sie nicht so früh erwartet”, lautet die Antwort.
Die wichtigste Auszeichnung für die Transatlantiküberquerung, die heute gemeinhin als Symbol für das Blaue Band gilt, wurde damals von der Hoverspeed Great Britain Sea Cat mit einer Zeit von 79 Stunden und 54 Minuten gehalten; sie wurde nicht an die Motorboote der Branson-Generation vergeben (obwohl Tom Gentrys schnellste Überquerung 17 Stunden weniger als die Sea Cat benötigte), weil speziell gebaute Rekordboote, die unterwegs aufgetankt werden mussten, nicht dem Geist der Trophäe entsprachen, die ursprünglich für die schnellen Passagierliner gedacht war.
«Für die Destriero”, so Fiorio, «lag das Problem in der Bedingung, dass die Hales Trophy nur an ein Schiff vergeben werden kann, das einen kommerziellen Zweck erfüllt. Es muss von einem Seetransportunternehmen betrieben werden, um Passagiere oder Fracht zu befördern.»
Destriero-Revival?
Zum 30-jährigen Jubiläum traf sich die Rekordcrew wieder in Porto Cervo und schwelgte in erinnerungen. Die Destriero war nach einem Aufenthalt in England auf der Lürssen Werft in Lemwerder-Bremen gelandet, wo sie ihr Dasein fristet. Das will die Rekordcrew nicht zulassen. Zusammen mit interessierten Kreisen wollen sie den Aga Khan dazu bewegen, die Sleeping Beauty wieder wachzuküssen und nach Italien zurückzuholen. Auch von einem eigenen Museum ist die Rede. Wird das Schlachtross bald wieder über die Wogen galoppieren? Der Destriero hätte es verdient. Auch wenn die aktuellen Treibstoffpreise einen neuen Rekordversuch zu einem ziemlich teuren Unterfangen machen…
T: Stefan Detjen
F: Consorzio Costa Smeralda