ALFONSO BIESCAS VIGNAU – Nito. Un mito.

Er ist Architekt, Maler, Designer, Schriftsteller, Pilot, Trendsetter und Surfpionier. Aber man kann es sich einfacher machen: Alfonso «Nito» Biescas Vignau ist in erster Linie ein Lebenskünstler.

Seine erste Reise führte Alfonso von Bilbao, wo er aufgewachsen war, nach Barcelona, um Architektur und Kunstgeschichte zu studieren. Er war 17 und fühlte sich nicht wohl in dieser grossen Stadt, in der er allein war mit einem Studium, das ihn überforderte. So waren die Sommerferien in Zarautz, wo seine Eltern ein Haus hatten, jedes Jahr wie eine Reise ins Paradies. Und mit den Erinnerungen an den Sommer überlebte er den Winter.

Während dieser Sommerferien in Zarautz, kam der junge Mann mit dem Kosenamen ‘Nito’ auf die Idee, zu surfen. Ohne zu wissen, dass in Santander und im 40 km entfernten Frankreich schon fleissig gesurft wurde. Denn damals war das Reisen nicht so selbstverständlich wie heute und Spanien hinkte in vielem hinterher. Trotzdem konnte er sich nicht vorstellen, dass man ein Surfbrett bauen konnte, ohne die Wellen zu verstehen. Umso grösser war die Überraschung, als er tatsächlich in einem Laden Surfbretter sah. Und diese waren nicht nur schön, sondern auch funktionell. Er erzählte es seinen Eltern. worauf seine Mutter, die ein Schatz war, versprach, ihm das Brett zu kaufen. Vielleicht war es als Belohnung für das bestandene Semester, vielleicht war es auch einfach Liebe. Es war das Jahr 1967 und es kostete stolze 7000 Pesetas. Und Nito konnte mit seinem Barland/Rott Brett lossurfen. Von diesem Tag an gab es kein Zurück mehr. Er surfte in ein anderes Leben.

Damals glaubte niemand an ihn und niemand ans Surfen. Alle hielten ihn für einen Spinner, erklärten ihn für verrückt. Aber er blieb dran, obwohl er ziemliche Angst hatte. Es gab noch keine Baywatch, man wusste nichts von dem, was man heute weiss. Niemand wäre ihm in einer gefährlichen Situation zu Hilfe gekommen. Doch die Gruppe der Surfer wuchs. Und nach und nach lernten sie die Techniken. Sie wussten, dass eine Welle kaum länger als 6, 7 Sekunden dauerte. Und trotzdem wollte man diese Wellen immer und immer wieder erleben. Weil man nie zufrieden war, man wollte immer mehr. Das kreiert Ekstase, eine extreme Sucht und Passion. Das Vergnügen, eine Welle zu nehmen, kann niemand verstehen, der nicht surft. Alfonso erinnert sich auch an die Surfkleidung von Billabong mit dem Slogan: Only surfer know this feeling. Seine Lust auf die Wellen war unbändig geworden.

Alfonso betont, dass er nicht der allererste war. Es gab in dieser Zeit einen Surfer aus Asturias, Félix Cueto, der als der erste in Spanien galt. Aber Alfonso war der erste in Zarautz. Und der erste, der in der Zeitung ‘La Vanguardia’ vom 5.7.1972 darüber einen Artikel mit dem Titel: ‘El Surf. Un regalo de la naturaleza’ (Ein Geschenk der Natur) publizierte. Und er entdeckte diese Welt weiter, auch durch die ersten Wettkämpfe, die er organisierte. Da kamen auch Surfer vom Kantabrischen Meer, er war wie geblendet. Mit der Zeit bildete sich auch die erste Nationale Sektion des Förder-Verbands, SNS, der in Alfonso auch gleich einen Illustrator hatte, der das Logo kreierte. Zarautz wurde zum wichtigen Mittelpunkt der Surf-Szene und spielte eine entscheidende Rolle für den Surf-Sport in Spanien. In den ersten Sitzungen vor der Gründung der SNS, erachtete man Nito Biescas als Alma Mater, auch im Hinblick auf seine Kontakte und den Kontakt seines Vaters zu Joan Antoni Samaranch, damals nationaler Delegierter für Erziehung und Sport, bevor er später der 7. Präsident des IOC wurde.

Es gab viele soziologische Faktoren in diesem Zarautz. Und das Surfen gab dem Jüngling Nito Selbstsicherheit und Prestige. Er fühlte sich als Leader, das war ein grosses Gefühl, das entsprechende Auswirkungen hatte. Aber als die Saison zu Ende ging, fand er sich in Barcelona wieder. Allein, traurig, mit seinem Studium. Mit den Gedanken und der Vorfreude auf den Sommer und die Wellen.

«Damals hielt man mich für verrückt, aber das höre ich mittlerweile mein Leben lang. Weil ich anders denke, eine andere Einstellung zum Leben habe. Ich überlegte mir, weshalb ich als Architekt irgendwelche Schmutzarbeit (damit meint er hässliche Bauten) für ein paar Pesetas machen sollte. Ich zeichnete lieber. Perspektiven, Skizzen, kleine Entwürfe, gerade so viel, um davon leben zu können. Dann klopfte die Modewelt an. Ich entwarf Surfmode und erlangte auch damit Anerkennung. Ich arbeitete viel, musste viel reisen, auch nach USA. Nach ein paar Jahren ergab es sich, dass mein Bruder heiratete und nach Ibiza zog. Er lud mich für ein paar Ferientage nach Formentera ein, eine interessante, aber zu dieser Zeit noch jungfräuliche Insel. Viele Deserteure, die nicht zum Vietnamkrieg wollten, kamen nach Formentera, um sich da zu verstecken. Die Eltern wussten es, hielten aber alle dicht, damit ihre Söhne nicht verraten wurden. Sie schickten Geld, adressierten es ans Restaurant, ohne Namen und Adresse. Und da der Wirt nicht wissen konnte, für wen das Geld war, verteilte er es an die jungen Männer, die da waren. Das war damals auf Formentera möglich».

Aber die Modewelt war Nito zu gekünstelt. Er ging zu den Modeschauen, weil er musste. Es war nicht seine Welt. Also ging er nach ein paar Jahren dahin zurück, wo er sich wohl fühlte, nach Formentera. Er verkaufte auf den Hippie-Märkten um die 200 Bilder pro Woche. Lebte wie ein König, frei von Verpflichtungen. Inzwischen hatte er auch viel von Marketing gelernt, was ihm beim Verkaufen seiner Bilder zugutekam. Viele Touris wussten nicht, was sie von den Ferien als Mitbringsel mitnehmen sollten, also kauften sie ein paar kleine Bilder. Und zu dieser Zeit war die Insel ein Surfer-Hotspot. Nito hat gezeichnet, gemalt, dann nahm er sein Fahrrad und fuhr zum Strand. Er lag an der Sonne, schlief, surfte, war allein. Im Monat August allein am Strand. Wenn man Formentera heute sieht, ist das undenkbar. Nach und nach kam der grosse Tourismus. 98 war das letzte Jahr, danach wurde es für ihn unerträglich.

Die nächsten drei Jahre hat er seine Eltern gepflegt, was er als die schlimmste Erfahrung seines Lebens empfand. Als Folge davon wurde er selbst krank. Diagnose: Physische und psychische Erschöpfung. Er brauchte eine Kur. So begann seine Geschichte mit dem Camino de Santiago, dem Jakobsweg. Anfangs empfand er das Laufen als nicht sehr angenehm, aber dann traf er nette Leute, da lief es besser. Er wiederholte und wiederholte den Weg. Kannte ihn auswendig, jeden Abschnitt. «Wenn man den Weg alleine geht, lernt man viele Leute kennen, erfährt herzzerreissende, dramatische Lebensgeschichten, die mich heute noch zu Tränen rühren.» So kam es, dass sein Buch ‘Una idea peregrina’ als eines der besten Bücher über den Jakobsweg gilt.

Und da sind auch seine Leuchttürme. Es war auf Formentera eine Art Disziplin, jeden Morgen ein Aquarell zu malen. Irgendwann wusste er nicht mehr, was er malen, zeichnen oder skizzieren sollte. Da schaute er sich die Leuchttürme an den Meeresküsten etwas näher an. Inzwischen sind es über 2500 Arbeiten. Tendenz steigend.

Von seiner Rente kann er heute nicht leben. Also brach er vor drei Jahren seine Zelte in Barcelona nach 55 Jahren ab, verkaufte seine Wohnung und zog nach Santander. Unnötig zu erwähnen, dass die Strände dort die Möglichkeit zum Surfen bieten. Sein Leben sei nicht besonders interessant, aber es gefalle ihm, er würde heute alles wieder genauso machen. Und er sagt, dass er hier trotz des Regens gut lebt.

Er erinnert sich daran, dass er als kleiner Junge Pläne machte. Was er später alles tun würde. Und überlegte sich nachts im Bett die Reihenfolge. Nach der Schule zur Universität, sein Studium absolvieren, viel Geld verdienen, einen Seat 600 kaufen, eine (wie man in Spanien sagt) Braut finden und … Nein, vor dem Heiraten hatte er dann doch Angst. Er sei nicht der, der gerne besitzt und Geld nur soviel, wie er zum Leben brauche. Er ist überzeugt, dass man mit wenig Geld auskommt, wichtig seien die Werte. Ein Architekt in London verdient ein Vermögen. Das interessiert ihn nicht. Prestige auch nicht. Was er braucht, ist die Natur. Und dass er etwas anders tickt, zeigte sich auch bei seiner Flugangst. Er hatte derart Angst vorm Fliegen, dass er Pilot wurde. Das war der einzige Weg. Eine Ausbildung in einer anderen Welt. So hat er seine Angst bezwungen. Er lacht: «66 Messgeräte, wo man doch höchstens 6 braucht. Aber Fliegen ist ein wahnsinniges Gefühl. Vor allem beim Landen. Weil man da realisiert, dass man geflogen ist.» Wie beim Surfen. Eine zweite Art von Take-off. Der Kreis schliesst sich.

Nach dieser Lebensgeschichte ist es nicht überraschend, dass es erstaunlich viele Architekten gibt, die ebenfalls leidenschaftliche Surfer sind. Harry Gesner, Søren Sirup, Elisio Tiúba, Fabian Staehelin und viele mehr. Sie alle teilen dieselbe Leidenschaft, wissend, dass auch der beste Architekt keine perfekte Welle entwerfen kann. Was ja völlige Zeitvergeudung wäre. Denn es gibt sie schon. Die Natur beschert sie immer wieder. Sie wirft kleine und grosse, niedrige und hohe, sogar Monsterwellen gegen den Strand. Und wenn man sie erlebt hat, wartet man gespannt auf die nächste. Denn wenn die Wellen stimmen, stimmt auch dein Leben.

Unser Gespräch ging lange. Da waren noch so viele Geschichten, so viele Erfahrungen, so viel Stoff. Aber eine seiner Geschichten werde ich nicht so schnell vergessen. Als ich ihn gefragt habe, ob er heute noch surft, antwortete er erwartungsgemäss: «Noch nicht. Aber bald». Eine Rippe mache ihm von Zeit zu Zeit Probleme. Jetzt sei es gerade wieder der Fall. «Aber sobald sie sich wieder einrenkt, bin ich wieder auf dem Brett». Und er erzählte mir von einem Tag am Strand vor einigen Jahren, an dem er nicht surfen konnte, weil er einen schlimmen Hexenschuss hatte. Trotz heftiger Schmerzen ging er zum Strand. Wenigstens den Surfern zuschauen, das würde schon gehen. Er sass also auf einem Stuhl und schaute zu. Die Schmerzen wurden aber immer schlimmer, sodass er sich überlegte, ob er nicht sein Brett holen sollte und auf diesem kniend, halbstehend, weniger Schmerzen hätte als sitzend. Gedacht, getan. Und er hat mir geschworen, dass er bis heute nicht nachvollziehen könne, wie es gegangen sei, aber auf einmal war er in den Wellen, am Surfen, völlig schmerzfrei. Und erst als er nach längerer Zeit wieder abstieg, erinnerte ihn ein stechender Schmerz daran, dass er mit oder trotz Hexenschuss auf dem Brett war und am Surfen. Eine bessere ‘Fallstudie’ gibt es wahrscheinlich nicht, die derart eindrücklich zeigt, wie gross die Lust und der Drang sein muss, um auch unter solchen Bedingungen surfen zu wollen. Weil man in der «Tube» alles andere um sich herum vergisst. Auf alle Fälle ist es Nito nie passiert, dass man ihm wie im Surf-Kultfilm ‘The endless summer’ den unter Surfern berühmten Spruch gesagt hätte:  ‘Du hättest gestern hier sein sollen’. Denn das war er.

Das Surfen bedeutet auch für Nito die Möglichkeit, frei zu sein. Und nicht nur das. Seine Generation erlebt dabei auch immer wieder das Gefühl von Freiheit und Abenteuer. Die 60er Jahre. Jede Menge Spass, Sonne, Leidenschaft und Sommer, die niemals enden sollten. Die Beach Boys singen ‘Catch a wave and you’re sitting on top of the world, don’t be afraid to try the greatest sport around, catch a wave’. Also frei sein, Lebenskünstler sein. Kein schlechter Plan angesichts der Entwicklung auf dieser Erde in unseren Zeiten. Es stimmt nachdenklich. Vergleiche zur asiatischen Lebenskunst, wonach derjenige reich ist, der nichts braucht, gehen ziemlich tiefer, tönen aber nach weniger Lebensfreude. In Spanien und in den lateinischen Ländern soll die Lebenskunst nicht so gefengshuit sein, sondern auch Lebensfreude bescheren. Der italienische Schauspieler und Filmregisseur Vittorio De Sica bezeichnete die Lebenskunst nicht zuletzt als die Fähigkeit, auf etwas Notwendiges zu verzichten, um sich etwas Überflüssiges zu leisten.

Die Erkenntnis nach den Gesprächen mit Nito ist denkbar einfach. Die wahren Lebenskünstler verlangen wenig. Und sie bekommen dafür so viel. Muchas gracias, Nito.

T: Isabelle Arnau

F: ZVG/Alfonso Biescas Vignau

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