Lange Zeit war Marie Tabarly nur „die Tochter von Eric“ und stand nach dessen Tod lange im Schatten der Segellegende. Doch nach vielen Lehrjahren hat sie ihren eigenen Weg gefunden und startete jetzt als Skipperin zum Ocean Globe Race um die Welt – zum 50. Jubiläum der Whitbread-Regatta und der Ketch Pen Duick VI.
Marie ist eine Vollblutseglerin. Kein Wunder, wenn man von Kindsbeinen an auf den verschiedenen Pen Duicks der Familie Tabarly unterwegs war, von der Bretagne über die Antillen bis nach bis Bora-Bora. Zuhause gingen Segelgrössen wie Olivier de Kersauson, Titouan Lamazou, Marc Pajot und Philippe Poupon ein und aus, Erzählungen über den Grand Sud, über Mastbrüche und tagelange Stürme gehörten zum Alltag.
Nach dem Tod ihres Vaters wird ihr der Medienrummel zu viel. Marketingkampagnen, die mit dem Namen Tabarly Geld machen wollen, geht sie nach ersten schlechten Erfahrungen aus dem Weg. Sie zieht sich aus der Segelwelt zurück und entdeckt die Liebe zu Pferden. Frei und unbändig jagt sie auf dem Rücken ihrer neuen Freunde den Stränden entlang und macht sich einen Namen in der Pflege von Problempferden. Alles geht gut, bis sie sich die Pferdeflüsterin eines Tages eingestehen muss, dass sie ihre Liebe auch den Schiffen und dem Meer gehört. Sie erinnert sich, dass sie als Kind so viel über Weltumsegelungen gehört hatte: «Ich wollte es selbst erleben. Das klingt nach einem tollen Leben. Ich habe das beste Boot der Welt, um das zu machen,» erklärt Marie im Gespräch. Dann drückt die Kämpferin in ihr durch: «Man segelt nicht los, um Zweiter zu werden. Ich kann es kaum erwarten, an der Startline des Ocean Globe Race zu stehen und alles zu geben, wie ich es bei meinem Vater erlebt habe.“
Die heute so unbändig motivierte Skipperin fing nach dem Verlust ihres Vaters wieder ganz von der Pike an, als Crewmember auf Klassikyachten wie die 15MJI Mariska und auf dem 60›ORMA Trimaran «Banque Populaire». Seit ihrem 9. Lebensjahr ist sie zudem die Taufpatin aller Regattayachten von Olivier de Kersauson. Beim Maxi-Trimaran Geronimo zerbricht sie jedoch nicht nur die Champagnerflasche, sondern ist als aktives Crewmitglied für den nächsten Segelrekord eingeplant. Obwohl de Kersauson keine Frau an Bord haben will, kommt sie dank der Fürsprache der ganzen Crew an Bord. Doch das Schicksal will es anders. Ein Sportunfall mit vierfachem Bänder- und Sehnenriss im Knöchel bringt sie drei Tage vor der Abreise um die Teilnahme am Onyx-Cup. Die Geronimo segelt ohne sie um die Welt…
Das Übel hat auch etwas Gutes, im Rehabilitationszentrum lernt sie Seglerin Roxy kennen, mit der sie ihre ersten Erfahrungen im Einhandsegeln an Bord eines Figaro II machen kann. Wieder richtig auf den Beinen, sammelt sie weiter Erfahrungen und Seemeilen. Als Co-Skipperin auf einer IMOCA segelt sie die Transat Jacques Vabre mit. Mit dem Refit der legendären Regattayacht Pen Duick VI ihres Vaters tritt sie dessen Erben an. Zuerst geht es ihr nur ums Reisen: «Ich bin schon immer gereist, hauptsächlich mit meinem Vater auf dem Boot, und habe in meiner Kindheit abwechselnd am Meer, auf dem Land in der Bretagne und in den Bergen bei Chamonix gelebt.» Dann wächst sie in ihre Rolle als Unternehmerin und Skipperin von Pen Duick VI hinein.
WAVE: Reiten oder Segeln?
Marie: Warum nur zwei? Ich entdecke immer wieder neue Sportarten wie Paragliding oder Slacklining. Ich interessiere mich auch für die Welt des Zirkus, ich kann mit Feuer jonglieren! Dabei habe ich Begegnungen gemacht, die mich mit Strassenkünstlern, Wanderzirkusschulen bis hin zu Bartabas und seinem Pferdetheater Zingaro zusammengebracht haben.
Wie würdest du dich beschreiben?
Ich liebe es, von allem das Beste zu nehmen und es zu vermischen, ohne Grenzen, ohne Barrieren, ich bin frei und möchte in keine Kategorie passen. Ich bin eine Reiterin, aber auch ein Seemann, eine Künstlerin, eine Sportlerin, eine Frau der Tat. Wer mich kennt, weiss: Ich liebe Essen, ich liebe Authentizität, ich liebe Handwerkskunst, ich liebe das Miteinander von Berufen, Völkern und Kulturen. Ich liebe die Geselligkeit, das Teilen und gute Laune.
Hast du neben deinem Vater noch andere Vorbilder?
Mich inspirieren viele Leuten, z. B. Bartabas, Kersauson, Mike Horn. Letzteren habe ich 2011 auf der Pangaea-Expedition begleitet, bei der ich den reiterlichen Teil betreute. Diese Expedition war einer der Auslöser für das The Elemen›Terre Project. Ich lernte Mike auf einer Party in Monaco kennen. Als ich ihm erzählte, dass ich alle seine Bücher verschlungen hatte und dass ich Pferdeverhaltenstherapeutin bin, fragte er: ‘Willst du mit mir in die Mongolei kommen?’. Ich nahm ihn beim Wort. Wenn man das Leben eines Robinsons liebt, ist man voll und ganz auf Mike Horn fixiert. Ich selbst lebe gerne in meiner Camionette, mit der ich überall hinkomme, und auf meinem Boot. Ein Haus ist mir zu statisch. Ich bevorzuge das Reisen.
Was bedeutet Pen Duick VI für dich?
Die Yacht ist Teil meiner Familie, meiner Vergangenheit, meiner Beziehung zu meinem Vater. Von meinem Vater habe ich nicht nur die Stärke, sondern auch die Loyalität und Treue geerbt. Wenn er ein Ziel hatte, liess er sich durch nichts davon abbringen. Wie er habe ich den Drang, über mich hinauszuwachsen, aber ich gehe kalkulierte Risiken ein. Die erste Pen Duick war quasi mein Optimist, die VI schien mir damals riesig. Und jetzt mache ich mit ihr das, für was sie gebaut wurde – um die Welt segeln.
Diese Whitbread-Yacht von 1978 ist ja auch das Flaggschiff deiner Organisation.
Der Verein Elemen›Terre Project habe ich vor sechs Jahren gegründet, um das Elemen›Terre Project realisieren zu können. Ziel ist es, die Öffentlichkeit für die grossen ökologischen und gesellschaftlichen Fragen unserer Zeit zu sensibilisieren. Das Elemen›Terre-Projekt ist eine schwimmende Denkfabrik, die sich für eine Rückkehr zu einfachen, elementaren Gedanken und Handlungen einsetzt. Wir wollen humanistische Werte und ein ausgewogeneres Verhältnis zur Umwelt stärken. Dafür nutzen wir Kunst und Sport als Allegorie für die grossen Herausforderungen unserer Welt. Pen Duick VI wird zu einem um die Welt segelnden Ort der Begegnung, der Reflexion und des Austauschs.
Wie sahen deine letzten Monate aus?
Stressig und intensiv! Wir waren ganz auf das Ocean Globe Race fokussiert. Und jetzt sind wir hier! Die vier Monate an Land sind wie im Flug vergangen. Dann wird Stress zur Routine. Die Yacht auswassern, in den Zug nach Paris springen, Stunden im Büro verbringen, wieder in den Zug nach Paris springen, ein Meeting nach dem anderen, Excel-Tabellen, die Segel der Pen Duick VI mit Incidences zeichnen, zurück nach Paris fahren, in Job-, To-Do- und Crew-Listen versinken, Shoreteam-Planungen machen, die VI wieder wassern, feststellen, dass die Einstellung des Ruderblatts nicht so ist, wie wir es gerne hätten, trotzdem segeln, Fotoshootings machen, Journalistenausfahrten, unsere Zusammenarbeit mit Breitling ankündigen, anfangen, alle Schaffner der Zuglinie Quimper-Paris zu kennen, die Kinder des Krankenhauses Robert Debré bei einer Regatta segeln lassen, wieder nach Paris fahren, anfangen, sich die Metropläne viel zu gut einzuprägen…
Und dann sind da noch die vielen Kleinigkeiten…
Wir beschäftigten uns viel mit den Details des Bootes, Ausbau der Kombüse, den Austausch des Sitzes am Kartentisch, Installation einer Heizung, Schaffen und Optimieren von Stauraum für Lebensmittel, Besorgen von Ölzeug und Crewwear mit den Logos unserer Partner. Und das auch noch: Zusammenstellen des gesamten Ersatzmaterials des Bootes, um so autonom wie möglich zu sein, Organisation des gesamten Sicherheitsmaterials… wir waren nicht zu spät, aber auch nicht zu früh dran. Die nächste Aufgabe war die Organisation der Abreise. Denn das 50-jährige Bestehen dieses Schiffes musste gebührend gefeiert werden. Grund dafür gibt es genug: der Geburtstag von Pen Duick VI und mein eigener. An der Party feierten wir das Ende des dreijährigen Projekts und unseren Aufbruch zum Start des Ocean Globe Race. Den ersten Teil haben wir schon gewonnen: Am Start zu sein ist schon ein erster Sieg. Ich wollte eine schöne Feier, um all denjenigen zu danken, die uns in den letzten drei Jahren geholfen haben, und das sind viele.
Wie war das RORC Transatlantic Race 2023?
Es gibt keine bessere Art, den Atlantik zu überqueren, als im Regattamodus. Solange ich auf See bin, bin ich glücklich! Aber das waren keine perfekten Bedingungen für Pen Duick. Sie liebt Amwindkurse bei harten Bedingungen und den Vorwindkurs bei wenig Wind. Dennoch war es sehr aufschlussreich. Wir haben ein Gefühl bekommen, wo wir den Segelplan zu verbessern können, den wir uns für das Ocean Globe Race wünschen.
Wie sieht deine Crew aus? Alles Profis?
Pen Duick hat eine junge Crew, und es gibt nicht viele Boote
wie sie. Es gibt ja keine Segelschule, wo man lernt, so eine Yacht wie sie zu segeln. Zum Halsen brauchen wir 11 Leute; die müssen zusammenarbeiten, zusammenhalten und den Durchblick haben. Pen Duick ist ein schweres, kraftvolles Boot, das man ganz klassisch segeln muss, was sowohl Konzentration als auch Teamgeist erfordert. Es ist viel wichtiger, ein Team zu haben, das zusammenarbeiten kann, als dass es technisch erfahren ist. Für wichtige Regatten nehmen wir manchmal auch Profis mit, wie z.B. Karine Fauconnier für die Taktik oder Elodie Mettraux, weil sie eine gute Seglerin und ein guter Kumpel ist.
“L’HOMME A BESOIN DE PASSION POUR EXISTER”
“DER MENSCH BRAUCHT LEIDENSCHAFT, UM
ZU EXISTIEREN”
50 JAHRE «PEN DUICK VI»
Pen Duick VI
Entworfen von André Mauric
Gebaut 1973 im Arsenal von Brest.
• Länge über alles: 22.25 m
• Länge Wasserlinie: 18.80 m
• Verdrängung: 32 Tonnen
• Breite: 5.50 m
• Tiefgang: 3.40 m
• Takelage: Ketsch Marconi
• Segelfläche Amwind : 260 m2
• Material: Duralinox
Pen Duick VI
Éric Tabarly hatte ein Faible für diese Yacht, die speziell für die erste Weltumsegelung, die Whitbread around the World 1973-1974, entworfen wurde. Pen Duick VI musste von der Marinewerft in Brest in Rekordzeit gebaut werden, um an die Startlinie zu kommen. Alle Chancen auf den Sieg wurden jedoch durch zwei Mastbrüche während der 1. und 3. Etappe zunichte gemacht. 1974 war die Bermuda-Plymouth-Regatta die erste von vielen Regatten, die die Ketsch gewinnen sollte, 1976 das Atlantikdreieck und die Solo-Transatlantikregatta im Juni. Dieses Rennen ist zweifellos das härteste, an dem Eric Tabarly je teilgenommen hat, denn er hatte fünf aufeinander folgende Stürme an Bord einer Yacht zu überstehen, die für eine 14-köpfige Besatzung ausgelegt war und keinen Autopiloten mehr hatte, der vier Tage nach dem Start ausfiel.