Mister Q und die Erfindung des Zwischenraums

Daniel Düsentrieb, Professor Bienlein oder Q, der genial-verschrobene Kopf hinter all den unnötigen technischen Wunderspielzeugen von James B… Andreas Reinhard kennt die über ihn kursierenden Beschreibungen und schmunzelt. Denn wichtiger, ja zentral, ist ihm als umtriebiger wie erfolgreicher Tüftler bei allem: Grenzen verschieben und Vorwärtsdrang bei solider Bodenhaftung. Er verkörpert sozusagen den Gegenentwurf zum verträumt-fidelen Hans-guck-in die Luft, indem er nicht bloss neues denkt, sondern es einfach macht und immer wieder viel beachtete Zeichen setzt. Darum berichtet WAVE über ihn, den Erfinder und Unternehmer, der vom Hängegleiter über Helikopter bis zum Militärjet 107 Typen geflogen und Ballon gefahren ist, sich als Buchautor und Coach für CEO’s wie Jugendliche betätigt, seinem künstlerischen Flair Raum gibt und auch zum nassen Element einen heissen Draht hat.

Klar – uns interessieren seit jeher leicht schräg in der Landschaft stehende, bunte Vögel mit einer gesunden Portion Humor, interessanter Vita und praxisnaher Lebenserfahrung. Diese Anforderungen bringt der 68-jährige Andreas Reinhard locker mit. Auf eine Interviewfrage nach seinem Beruf antwortete er vor 35 Jahren: «Brandstifter, Eisbrecher und Brückenbauer». Ausserdem hat bei ihm vieles beim Segeln angefangen, ja das Spiel mit Energie und Widerstand, Profilen und Strömung findet sich bei zahlreichen seiner Projekte wieder. Bei unserem Besuch in seinem Tüftlerreich in einer ehemaligen Seidenweberei stossen wir schon vor der Türe auf ein interessantes Objekt. Die nachtschwarze Heckflosse eines kapitalen U-Bootes hat es uns angetan. Und schon sind wir mitten in der ersten Story, von denen Andreas so mitreissend erzählen kann. In einer Nacht-und-Nebel-Aktion hatten er und seine Crew eine nahezu massstabgetreue Attrappe eines Atom-U-Boots gebaut und auf dem St. Moritzer See platziert, das so aussah, als wäre es soeben durch die dicke Eisdecke gebrochen. Die Besucher des White Turf staunten nicht schlecht, als sich der Kommandoturm als coole Bar zu erkennen gab, wo eine fellbemützte Crew in friedlicher Mission Wodka und Champagner servierte – alles untermalt von der Geräuschkulisse aus krachendem Eis, Sonargeräuschen und Peilsignalen. Typisch Reinhard ist auch die Detailverliebtheit. Die Positionslampen sahen den zehntausendfränkigen Originalen täuschend ähnlich – aber es handelte sich lediglich um simple Zahngläser aus dem Einrichtungshaus.

Tüftler und Bastler war er bereits als Jugendlicher, dank Legosteinen und Mecano-Baukästen. Als er eine seiner Kreationen seinem Vater, einem Textilingenieur zeigte, identifizierte er diese als Fliehkraftkupplung. Klein-Andreas war sichtlich frustriert, dass irgendwer das schon vor 100 Jahren erfunden hatte.

Seine kaum zu bändigende Energie zog ihn aber schon bald ins Freie und auf den See, wo er zusammen mit seinen Brüdern einem Kanu das Segeln beibrachte – mit Bambusmast und Leintüchern. Weil auch das zu langsam war, sattelte man auf schnellere und immer grössere Cats um – bis man an deren physikalischen Grenzen stiess, doch entscheidende Lektionen kapierte: «Nose diving» gab es auch schon vor 50 Jahren. Nachdem sich am Ruder einer Yacht vor den Calanques seine Vorbehalte gegenüber «trägen und fetten» Einrümpfern verflüchtigt hatten, erweiterte er sein nautisches Curriculum mit dem B-Schein und dann gleich auch noch mit dem Tauchbrevet.

Was er hier sieht, lässt ihn staunen und nachdenken. Sind Mantas und Rochen nicht vielmehr Flieger als Schwimmer? Ist das Tarieren unter Wasser nicht das genau gleiche wie einen Ballon zu fahren? Auf einmal, mit dem buchstäblichen praktischen Eintauchen, begannen für ihn die vordergründig so unterschiedlichen Elemente Luft & Wasser zu einer Einheit zu verschwimmen.  

Er, der unzählige Flugzeugmodelle, vom kleinen Plastikflieger bis zu ferngesteuerten Grossmodellen zusammenbaute, war hin und weg. Inspiration pure – Physik und Anmut vereint.

Die Grenzen sind fliessend

Die Verbindung zur Aviatik entstand schon früh durch die elterliche Teppichfabrik, die sich durch hochwertige Materialien und Fertigungsmethoden auszeichnete. Wenn Reinhard das erklärt, tönt das so: «Wir machten keine fliegenden Teppiche, aber immerhin Teppiche, die fliegen,» und dabei blitzt der Schalk in seinen Augen, «wir belieferten Swissair, Boeing und McDonnel Douglas».

Zur Faszination des Fliegens gesellte sich in der Mittelschule jene zu erneuerbarer Energie, insbesondere Sonnenenergie. 1972 – ein Jahr vor der ersten Ölkrise – verfasste er zu diesem Thema seine 230 Seiten umfassende Abschlussarbeit, ergänzt mit anschaulichen physikalischen Experimenten. Das öffnete dem jungen Visionär die Türen zur Uni Bern und ETHZ, doch der theoretisch-abstrakte Lehrbetrieb ist nicht nach Reinhards Gusto. Als «unvollendeter» Physiker findet er erfüllende Aufgaben beim Gottlieb Duttweiler-Institut, wird persönlicher Mitarbeiter des damaligen Migros-Chefs und realisiert für die REGA an den exponiertesten Stellen erstmals solare Notfunkstationen, so im Solvay-Biwak am Matterhorn oder der Cabanna Margherita auf fast 4’600 Meter im Monte-Rosa-Massiv. Damit schliesst sich für ihn ein Kreis, der mit wiederholten Praktikas bei der Air Glacier und Air Zermatt begonnen hat. Oder er reist für ein Weltbankprojekt für solarbetriebene Wasserpumpen in die nepalesischen Hochtäler. Und lernte dort den Pilatus Porter fliegen und Pilotenlegende Emil Wick kennen.

In seiner weiteren Tätigkeit als Auftragsentwickler für mittlere und grössere Firmen wird die Bionik ein enger, gleichermassen überraschender wie inspirierender Begleiter. Als Hommage an die genialen Lösungen der Natur wählt er für seine Projekte immer wieder Tiernamen. So zum Beispiel LIBELLE für einen neuartigen, wassergefüllten Beschleunigungsanzug für Piloten von Kampfjets. Verblüffend – dieser reguliert sich in jeder Situation selber. Was Reinhard mit den Worten kommentiert «die Physik als Komplizen zu gewinnen ist allemal schlauer als sich mit ihr anzulegen». Die komplexe Entwicklung, all die Tests und die Zulassung dauert Jahre. Ehrensache und irgendwie selbstverständlich, dass er als Proband gleich selbst vorangeht, diverse Jets, darunter die Mirage im Grenzbereich, immer am Limit, eigenhändig steuert. Mit der Weiterentwicklung G-RAFFE – inspiriert vom Giraffenhals, nomen est omen – kann die Testperson noch bei 9 G den Rubik Cube lösen. Darüber berichtete selbst Richard Hammon ausführlich von Top Gear.

Die sanfte Art des Fliegens

Doch es muss nicht immer Überschall sein. Es geht auch langsamer und natürlicher. Reinhard erzählt vom Segelfliegen über die namibische Küste und Wüste («Hammerthermik und überwältigende Eindrücke während bis zu 11 Stunden») und vom Heissluftballonfahren («die plumpen Riesendinger reagieren auf minimalste Veränderungen»). So zwischendurch hat er als Kundenauftrag einen umgedrehten Ballon konzipiert, ein Gag, der bereits beim Erstflug mehr als 900 besorgte Anrufe in der Notfallzentrale auslöste…

Während 11 Jahren verantwortete Reinhard als Chief Aerodrome den ehemaligen

Reduit-Militärflugplatz St. Stephan im Oberen Simmental, den er als Erprobungszentrum und «Spielwiese» für seine damalige Firma prospective concepts mietet. Die pittoreske Kulisse mit intakter Bergwelt, voll operationellen Pisten, Rollwegen und Bunkern bildet den Rahmen für einen formal wie konzeptionell spektakulären Versuchsträger, den STINGRAY. Magisch silberglänzend, ausschliesslich aus hochfesten Textilien gebaut, hat er seine Form und Festigkeit allein durch einen geringen Innendruck von weniger als einem Prozent eines Reifendrucks. Diese universelle Bauweise nennen die Pioniere «Pneumatische Strukturen» oder Bauen mit dem Zwischenraum, wo die Materialien effizient nur auf Zug belastet werden und sich mithilfe der «Dynamischen Flächen» kontrolliert verformen können. Geflogen ist der archaisch wie futuristische Rochen 310 Mal – von Gion Bezzola, einem der Gründer der Patrouille Suisse.

Geheimnisvolle Flugobjekte, Felskavernen, ein unterirdischer Kommandoposten, eine neue Halle, die sich trotz der Grösse hinter einem Wäldchen diskret an den Hang duckt: Reinhards Wirken gibt zu Reden im idyllischen Oberland. Auch die internationale Gstaader High Society gerät in den Bann des geheimnisvollen Ortes mit seiner 007-Aura und nennt die Anlage nur Q’Lab. Mister Ecclestone, Gründungsmitglied des Gstaad Yacht Club, sieht das in seiner eigenen Logik pragmatischer und ruft bei Reinhard an, ob er mit seinem üppigen Privatjet auf seiner deutlich längeren Piste landen könne, die vom Saanenland erlaube ihm keine Flüge nach Übersee. No way and sorry, Bernie, das ist nicht leider nicht erlaubt…

Dann klingelt wieder das Telefon, dieses Mal ist ein Visionär am Draht. Luca Bassani hat den Rochen-Flieger gesehen und über Reinhards fliegende Prototypen mit den pneumatischen, adaptiven Strukturen und Oberflächen gelesen. Der Wally-Boss sieht die futuristischen Ansätze als Möglichkeiten, den Technik- und Designvorsprung seiner Yachten auch oberhalb der Wasserlinie weiter auszubauen. Doch auf dem Tisch des fliegenden Erfinders türmen sich die Kundenaufträge für luftgefüllte Flugzeugsitze, einen sich selbst auf- und abladenden Transportcontainer, Fahrzeugkomponenten für eine deutsche Sportwagenfirma oder eben die Beschleunigungsanzüge für Kampfjetpiloten in allen Herren Länder. Kurz – die Anfrage Bassanis geht im betrieblichen Strudel unter, was Reinhard heute noch wurmt; vielleicht liest ja Luca diese WAVE-Ausgabe und wählt die Nummer am Ende des Artikels nochmals . . .

iii solutions GmbH

Rebmattli 9a

CH – 6340 Baar

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www.iii-solutions.ch

F: Andreas Reinhard/iii solutions 

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