Hemingway’s Hideaway

Ernest Hemingway war rastlos unterwegs, um der puritanischen Enge Amerikas zu entfliehen. Er liebte Europa wegen seiner Lockerheit und Lebenslust, er suchte Abenteuer in Afrika und Inspiration auf Kuba. Doch Hemingway wäre nicht zur Legende geworden, hätte er sich nicht ein eigenes Schiff gegönnt. In Paris wurde er zum Schriftsteller, auf den Törns mit seiner Pilar zum Seemann.

Hemingway hatte einen einfachen Geschmack: er war nur mit dem Besten zufrieden. Er wollte im tiefsten Fluss angeln, den besten Bordeaux trinken, an vorderster Front im Krieg siegen, den grössten Löwen erlegen und die schönsten Frauen erobern. Doch davon war er noch weit entfernt, als er sich 1928 mit seiner zweiten Ehefrau Pauline in Key West niederlässt. Schriftstellerkollege John Dos Passos hatte ihm diesen äussersten Zipfel der USA empfohlen, der damals noch nicht über lange Brücken, sondern nur per Schiff zu erreichen war. Die Mini-Insel ist eine wildwuchernde Lasterhöhle, wo man spanisch spricht und wo der Alkohol trotz Prohibition in Strömen fliesst. Hemingway wird Stammgast im «Sloppy Joe’s», wo ihm Skinner, ein 130 Kilo stämmiger Schwarzer, die Drinks zubereitet, darunter den berühmten «Papa doble». Noch trinkt er in Massen und hält sich an ein strenges Tagesprogramm. Steht vor Sonnenaufgang auf und arbeitet im Stehen. Erzählende Passagen schreibt er von Hand, Dialoge mit der Schreibmaschine, weil die Menschen so reden wie eine Schreibmaschine arbeitet. Erst gegen halb Vier geht es in die Green Street 428 zu Sloopy Joe an den Tresen.

Abwechslung bieten ausgedehnte Angeltouren mit Joe Russell, dem Barbesitzer. Josie, wie ihn Hemingway nennt, ist ein ehemaliger Rum- und Zigarren-Schmuggler aus Kuba. Bei den Ausfahrten mit dessen Anita lernt Hemingway nicht nur, wie man die grossen Marlins fängt, sondern lässt sich vom Seemannsgarn der bunten Truppe inspirieren. Auch abenteuerlustige Gäste sind an Bord der Anita willkommen, darunter auch Arnold Gingrich, der zukünftige Boss des Esquire Magazins.

1934 beschliesst Ernest, sein eigener Kapitän zu werden. Er ordert bei der Wheeler Shipyard Corporation in Boston ein 38-Fuss-Doppelkabinenboot, Modell «Playmate». Hemingway schnorrt sich Geld von seinen baldigen Ex-Schwiegereltern, die andere Hälfte des Kaufpreises begleicht er mit einer Anzahlung des Esquire auf zu schreibende Artikel.

Arnold sei Dank…

Ernest passt die Standardausführung mit seinem neuen Wissen übers Big Game Fishing an. Das Heck sitzt etwas tiefer und erhält eine Rolle, um auch grosse Fische problemlos an Bord hieven zu können. Zusätzlich zum 70 PS starken 6-Zylinder- Chrysler-Crown-Benzinmotor lässt er einen 30 PS Lycoming-Motor zum Schlepp- angeln bei langsamer Fahrt einbauen. Eine Art mobile Fly Bridge, Auslegerarme für die Fischleinen, grössere Tanks und Platz für eine Tonne Eis stehen ebenfalls auf der Orderliste.

Per Eisenbahn wird das Boot nach Miami geliefert und nach Key West überführt. Der schwarze, aus amerikanischer Eiche gefertigte Rumpf mit den Wheeler-Insignien am Bug trägt den Aufbau mit dem Mahagoni-Cockpit und dem grünen Dach; der Kabinenkreuzer verfügt über sechs Kojen, 16 Knoten Höchstgeschwindigkeit und 500 Meilen Reichweite. Getauft auf den Namen Pilar, der Stadtpatronin von Saragossa und zugleich Paulines Spitzname, kann Hemingway mit seinem Fischerboot jederzeit nach Lust und Laune auslaufen. Als Boat Captain engagiert er Carlos Gutiérrez, einen erfahrenen Fischer, den er auf der Anita kennengelernt hat. Es geht hinaus auf das puta mar, wie es die Fischer mit Blick auf die tückischen Strömungen und Untiefen respektvoll nennen, zu den Inseln im Golfstrom. Besonders Bimini hat es ihm angetan. Hier blüht neben den einheimischen Schwammtauchern eine muntere Fauna von Leuten, die so richtig nach Hemingways Gusto sind: Aussteiger, selbsternannte Künstler und Playboys.

Inseln im Strom

Mit seinem neuen Kapitän Gregorio Fuentes, einem kanarischen Emigranten und Fischer mit Leib und Seele, beginnt ein typischer Anglertag frühmorgens bei den Fischern von Cojimar, um sich Makrelenköder zu besorgen. Dann schiebt sich die Pilar am Leuchtturm Le Morro vorbei ins Baja Mar. Schon bald erhält Fuentes die Order, sich um «The Ethylic Department» zu kümmern, die Bordbar. Im offenen Holzregal stehen Rum- und Gin-, Whisky- und Weinflaschen, im Eisfach wartet das lokale Hatuey-Bier auf seinen Einsatz. Es wird gemixt, geschüttelt und gerührt, aber immer ohne Zucker, das gilt selbst für die heiss geliebten Daiquiris.

Hemingways Leben spielt sich nun in seinem persönlichen Bermudadreieck ab – zwischen Key West, Pilars Heimathafen, Bimini und Kuba. Es wird gefischt, was die Angel hält. «Papa» Ernest holt mit seiner Pilar, die angeltechnisch ihrer Zeit voraus ist, immer grössere Beute aus dem Meer. Er bricht mehrere Angelrekorde und beginnt, alle seine Fänge zu vermessen und zu dokumentieren, was zu einer richtigen Manie ausartet.

Auf der Pilar finden zahlreiche Sportfischerpartys statt, und die New York Times berichtet über den Autor und seine illustren Gäste, denen er als stolzer Skipper sein Können vorführt. Beissen keine Fische an, ballert er zur Belustigung auch gerne aufs Meer hinaus. Als er einen Hai am Gaffhaken hat, zerbricht dieser und trifft seine Hand, die eine Pistole hält. Ein Schuss löst sich, trifft das Messinggeländer und verletzt als Querschläger Hemingways beide Waden.

Ein paar Tage später bekommt er seine Rache. Haie, die sich auf einen riesigen, an der Leine gefangenen Thunfisch stürzen, werden von einem wütenden Hemingway mit seiner «Tommy Gun», einer Thompson-Maschinenpistole mit einem 50-Schuss-Stabmagazin, niedergemäht. In seinem posthum veröffentlichten Werk Inseln im Strom, das sich wie ein Logbuch dieser Jahre liest, beschreibt er im Detail, wie die lästigen «tiburones» mit seiner bleihaltigen Haifischmedizin zu erledigen sind.

Männer im Krieg

Doch Hemingway bleibt ein Ruheloser, Getriebener. Ohne Action und Abenteuer findet er keine Inspiration fürs Schreiben. Die Jagd- und Angelsaisons bestimmen seinen Lebensrhythmus, von Key West geht es über Piggott in Arkansas nach Wyoming. Schreiberisch herrscht Flaute, es muss Abwechslung her. Da kommt Martha Gellhorn, Journalistin und Kriegsreporterin, goldrichtig. Für ein Interview mit Ernest hat sie den Barmann im Sloopy Joe bestochen und kommt so zu einem Treffen. Später wird sie zu Ehefrau Nummer drei. Sie ist es auch, die ihn nach Kuba lotst und 1939 die Finca Vigía in Havanna als neue Residenz mietet.

Als der Zweite Weltkrieg ausbricht, ist Ernest mal wieder auf Jagd in Sun Valley. Im November 1940 heiraten Ernst und Martha in New York und so quasi als Hochzeitsreise machen sie sich nach China auf, wo beide während Februar und März über den chinesisch-japanischen Krieg berichten. Trotzdem erscheint ein im Ersten Weltkrieg verwundeter Hemingway, der auch im Spanischen Bürgerkrieg zur Waffe griff, in diesen kriegerischen Zeiten seltsam inaktiv.

Doch 1942 findet Ernest eine neue Aufgabe. Während seiner Zeit in China gab er Informationen an ein Team des Army Intelligence in Manila weiter. Im Mai führt das Office of Naval Intelligence eine Nachbesprechung mit Hemingway durch. Mit dem Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg schlägt Hemingway vor, eine Ad-hoc-Geheimdienstoperation in Havanna zu leiten, da er davon überzeugt ist, dass die in Kuba ansässigen Falangisten, die spanischen Faschisten, eine potentielle Gefahr darstellten. Mit dem Ok der Regierung legt Hemingway los. Das Gästehaus der Finca wird zur “Crooks Factory» (Gaunerfabrik), wie er das Hauptquartier seiner Spionageabwehreinheit nennt. Der amerikanische Botschafter Spruille Braden schätzte Hemingways Bemühungen, Verdächtige im Auge zu behalten. Nur seine Frau Martha ist weniger überzeugt und kritisierte die lauten nächtlichen Partys der Gaunerfabrik und den starken Alkoholkonsum auf der Finca.

Es muss an einem dieser launigen Treffen gewesen sein, als Operation «Friendless» gestartet wird. Unter dem Codenamen seiner Lieblingskatze entwirft Ernest, alias Agent A-39, einen neuen Plan. Fasziniert von den Heldentaten der britischen Q-Schiffe, die im Ersten Weltkrieg getarnt waren, um U-Boote zum Auftauchen zu verleiten und sie dann anzugreifen, sah Hemingway neue Möglichkeiten. Pilar als harmloses Fischerboot, das aber bis an die Zähne bewaffnet war, könnte die Tradition der Täuschung fortsetzen. Die US-Regierung liefert eine Reihe von Maschinengewehren, Panzerfäusten und Granaten an Bord der Pilar. Hemingway wünschte noch ein schweres Geschütz, aber Pilars Holzstruktur erlaubt lediglich ein leichte Bordkanone. Dafür führt sie eine grosse selbstgebastelte Bombe mit, die man in den Turm eines Kraut-U-Bootes werfen könnte. Leider ist der sargähnliche Sprengkörper mit vier Griffen so schwer, dass ihn zwei Männer nur mit Mühe heben können. Als Martha ihm erklärt, dass ein U-Boot-Turm einiges höher als die Brücke der Pilar sei, sollen eigens angeheuerte Pelota-Werfer und Football-Spieler dieses Manko wettmachen.

Haben und Nichthaben

Mit ihrer Rudeltaktik versuchten deutsche und italienische U-Boote in der Karibik den amerikanischen Nachschub zu stören. Städte wie Galveston, New Orleans und Houston, allesamt wichtige Ölhäfen, zogen das Interesse der deutschen Marine auf sich. Auf Aruba befindet sich die grösste Ölraffinerie der Welt, Hauptquelle für Diesel, Flugbenzin, Kerosin, Benzin und Heizöl, allesamt lebenswichtig für die alliierten Kriegsanstrengungen. Handelsschiffe, die Bauxit – eine wichtige Komponente für die Aluminiumproduktion – aus Britisch- und Niederländisch- Guayana transportierten, waren neben Tankern weitere verlockende Ziele. 1942, auf dem Höhepunkt der deutschen Karibikkampagne, versenkten U-Boote 263 Schiffe und übertrafen damit die Gesamtverluste auf der nordatlantischen Konvoiroute.

Viel Feind’, viel Ehr’, muss sich Hemingway gedacht haben, als er zur Jagd auf die U-Boot-Wölfe bläst. Er rekrutiert Kubaner, Spanier und Amerikaner, zeitweise auch seine beiden jungen Söhne. Gregory «Gigi» geht mit dem alten Jagdgewehr seiner Mutter, Patrick «Mouse» mit einer Mannlicher-Schönauer-Flinte auf Gefechtsposition. Für den Funkdienst kommandiert die Regierung John Saxon ab, einen trinkfreudigen Marine-Sergeant.

1943 erweitert Captain Hemingway seinen Aktionsradius von einem Basislager auf Cayo Confites aus, einer flachen Sandinsel mit ein paar Palmen, wo Pilar nachts vor Anker liegt. Schwer zu beschaffender, weil rationierter Treibstoff, Lebensmittel, Wasser, Eis und Alkohol wurden von einer Marineeinrichtung geliefert. Zu den täglichen Patrouillen gehören die Überwachung der Seewege, das Aufspüren von Schiffen, die Erkundung winziger Inseln und Buchten und die Beobachtung von ungewöhnlichen Vorkommnissen. Das Abhören von nächtlichem U-Boot-Gesprächsverkehr über Funk wird zu einer vergeblichen Übung, denn keiner der Pilar-Crew spricht fliessend Deutsch.

Ausflüge an Land sorgen für zusätzliche Aufregung. Einmal werden Gregory und sein älterer Bruder Patrick durch einen engen Durchgang geschickt, als sie in Höhlen nach deutschen Vorräten suchten. Gregory ist zunächst überglücklich, dann aber tief enttäuscht, als er feststellt, dass die drei gefundenen Flaschen eines deutschen Bieres nicht von einer U-Boot-Besatzung stammen. Bottled in the USA steht auf der Etikette – wahrscheinlich hatten amerikanische Touristen die Schlitz-Bierflaschen weggeworfen. Trinken und Granaten auf Bojen werfen bilden einen beliebten Zeitvertreib, um die Ereignislosigkeit während den Patrouillenfahrten zu überbrücken. Man trinkt ausgiebig, wenn der rationierte Alkohol verfügbar ist. Hemingway begnügt sich mit drei, manchmal sogar nur zweieinhalb Drinks pro Tag. Er hofft, Sergeant Saxon bewegen zu können, weniger zu trinken. Dass Saxon dann nur noch vier statt der üblichen 20 Drinks pro Tag zu sich nimmt, betrachtet er als grossen Erfolg.

Doch zu wenig Alkohol konnte den trinkfesten Agenten-Autor aus der Fassung bringen. Im Sommer 1943 beschwert sich Hemingway bei Martha, dass es ein Kriegsopfer sei, eine Woche lang keinen Gin und sechs Tage lang keinen Wein zu trinken. Daraufhin griff er auf Rum zurück. Mit Grapefruitsaft, Limette und Eis verrührt, so informierte er Martha, ergebe das einen anständigen Cocktail, aber eine siebentägige Reise nur mit Rum-Cocktails sei die Härte.

Gregory Hemingways Seeabenteuer erreicht gegen Ende seiner Schulferien einen Höhepunkt. Auf der Pilar sichtet man tatsächlich ein U-Boot in 1000 Meter Entfernung. Die Crew geht auf Gefechtsposition, auf der Flybridge wird die Bombe entschärft. Doch das U-Boot rauscht davon, ohne sich für das getarnte Fischerboot zu interessieren. Trotzdem hat Ernests jüngster Sohn Gregory gute Erinnerungen an das Leben an Bord der Pilar. Aus der Sicht des 12-Jährigen glich es eher Don Quichotte und die U-Boote, wie er sich in seinen Memoiren erinnert.

Im Juli 1943 ist die Karibikschlacht zu Ende. Eine verschlüsselte Nachricht beordert die U-Boot-Jäger nach Hause. Die Männer sind erschöpft, Pilar in schlechtem Zustand. Der Propeller ist verbogen, die Antriebswelle muss neu ausgerichtet, die Motordichtungen und -ringe ersetzt werden. Dafür hat Ernest spannenden Stoff für ein neues Buch, aber er muss schweigen. Die Zensur während des Krieges hält Hemingway davon ab, Pilars verdeckte Mission zu enthüllen. Musse zum Schreiben findet er auch keine, als Kriegsreporter reist er nach Europa und befreit Paris. Genauer gesagt das Hotel Ritz, aber das ist eine andere Geschichte.

Wem die Stunde schlägt

Knapp 10 Jahre später sprudeln die Geschichten aus seiner Feder. Hemingway unterbricht die Arbeit an Inseln im Strom und schreibt mit Der alte Mann und das Meer eine Hommage an Gregorio Fuentes, seinen barfüssigen Boat Captain, mit dem ihn eine tiefe Freundschaft verbindet. Die Geschichte des armen kubanischen Fischers Santiago, der einen riesigen Marlin am Haken hat und dem die Haie auf den Fersen sind, soll gemäss Hemingway so etwas wie ein populärer Moby Dick werden. Im September 1952 erscheint im Magazin Life die ungekürzte Originalfassung – 5,2 Millionen Hefte sind in zwei Tagen ausverkauft. Auch in Buchform verkauft sich die Parabel über das Scheitern bestens, der Pulitzer-Preis und im Jahr darauf der Nobelpreis für Hemingway machen seinen Ruhm komplett.

Als Hemingway Cuba verlassen muss, übergibt er die Pilar-Schlüssel an Gregorio und vererbt sie ihm später testamentarisch. In den dreissig Jahren, in denen der Schriftsteller sie besass, ritt sie vier tropische Wirbelstürme ab. Fuentes widersteht der Versuchung, Pilar zu verführerischen Summen zu verkaufen und überlässt sie dem kubanischen Volk – im Tausch gegen ein anderes Fischerboot. Heute liegt die Pilar als Museumsschiff auf der Finca Vigía an Land, gleich neben den Gräbern der Lieblingshunde Hemingways.

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