Der Götakanal verbindet Göteborg mit Stockholm. Die Wasserstrasse folgt zunächst dem Fluss Götaälv und erreicht über den Trollhättakanal den grössten See Schwedens, den Vänern. Der eigentliche Kanal beginnt in Sjötorp am Vänern und führt über den Viken- und Vätternsee aufwärts nach Motala auf über 90 Meter über dem Meeresspiegel. Von dort geht es über mehrere Seen hinunter nach Söderköping und Mem zur Ostsee. Es gibt drei Möglichkeiten, den Götakanal zu erleben: auf eigenem Kiel, an Bord eines historischen Dampfschiffes oder mit einem Charterboot.
Eine gewaltige Leistung
Im Königreich Schweden träumte man schon im 16. Jahrhundert von einer Wasserstrasse, welche Göteborg und die Westküste mit der Ostküste und Stockholm verbinden sollte, denn Südschweden gehörte lange Zeit zu Dänemark und der Warenaustausch zwischen den beiden Küsten war mit hohen Zöllen belegt. Erst Anfang des 19. Jahrhunderts gelang es dem Marineoffizier Baltzar von Platen, den König zu überzeugen. Zwischen 1810 und 1832 gruben 58›000 Soldaten den 87 Kilometer langen Kanal mit seinen 58 Schleusen grösstenteils von Hand mit Holzspaten und bewegten dabei 8 Millionen Kubikmeter Erde. 1822 gründete von Platen in Motala am Vätternsee die Motala-Werkstatt, die Maschinen und Geräte für den Kanalbau lieferte und später zur Wiege des schwedischen Maschinenbaus wurde.
Wenig später, zwischen 1865 und 1871, wurde der Kindakanal gebaut, der die Seen Åsunden, Ämmern, Järnlunden, Stora Rängen und Erlången über Linköping mit dem Roxensee und damit auch mit dem Götakanal verbindet. Der Kanal überwindet 52,5 Meter Höhenunterschied mit neun Schleusensystemen (insgesamt 15 Schleusen). Er diente dem Transport von Baumstämmen und landwirtschaftlichen Produkten und sollte die Not in dieser Region lindern.
Interessant ist der Unterschied zwischen den beiden Kanälen: Der Kindakanal folgt wie viele ältere Kanäle grösstenteils einem Fluss. Der Fluss Stångån wurde mehrfach gestaut und die Staustufen mit Schleusen versehen. «Nur» etwa 27 Kilometer wurden neu gegraben oder aus dem Fels gesprengt. Beim Götakanal wandte von Platen mit Hilfe britischer Ingenieure eine neue Methode an: Der Kanal folgt über möglichst weite Strecken einer Höhenlinie im Gelände, um an geeigneter Stelle einen grossen Höhenunterschied mittels einer Schleusentreppe zu überwinden. Die bekannteste ist die Carl-Johan-Schleusentreppe in Berg, die mit sieben Kammern zwischen dem Bassin von Berg und dem Roxensee fast 19 Meter überwindet. Der Kindakanal kann dafür mit der Schleuse mit dem grössten Höhenunterschied Schwedens (über
7 Meter) aufwarten.
Hauptattraktion: die Landschaft von Götaland
Beide Kanäle sind heute touristische Attraktionen und dienen nicht mehr dem Gütertransport. Sie führen durch die herrliche Agrarlandschaft Götalands, sind teilweise von Baumalleen gesäumt, überqueren kleinere und grössere Seen oder gestaute Flussabschnitte. Bei schönem Wetter finden sich zahlreiche Interessierte ein, um die Schleusenmanöver der Boote zu beobachten, besonders die Durchfahrten der drei historischen Passagierdampfer «M/S Juno» (1874), «M/S Wilhelm Tham» (1912) und «M/S Diana» (1931) der Götakanal-Reederei.
Die Götakanal-Reederei bietet von Mai bis September Kreuzfahrten mit den historischen Schiffen an. Ich habe im Sommer 1997 die viertägige Fahrt von Göteborg nach Stockholm miterlebt und kann zwei Tipps geben: Wer die ganze Strecke fahren will, egal in welche Richtung, bucht besser die sechstägige Variante, weil das Schiff dann abends und nachts nicht fährt und an mehr Sehenswürdigkeiten anlegt.
Allerdings sind diese Kreuzfahrten mittlerweile sehr teuer geworden, deshalb mein zweiter Tipp: Die dreitägige «Höhepunkte-Fahrt» von Mariestad nach Norsholm (oder umgekehrt) buchen. (www.gotacanal.se/de)
Noch besser: selbst fahren
Das blaue Band lässt sich auch auf eigenem Kiel befahren. Man kauft dafür ein Kanalticket und hat so Zugang zu allen Gästehäfen entlang des Kanals mit ihren vorbildlichen sanitären Anlagen. Weil es aus der Schweiz ziemlich weit ist, auf eigenem Kiel in die Gegend zu kommen, ist für die meisten Schweizerinnen und Schweizer Charter die naheliegendere Variante: Der Bootsverleih «Göta Kanal Charter» (www.gotakanalcharter.se/de) befindet sich in Motala Werkstad (von Stockholm bequem mit dem Zug erreichbar) und bietet Motor- und Elektrocharterboote für drei je einwöchige Routen an: Götakanal nach Osten (Motala – Söderköping retour), Kindakanal (Motala – Roxensee – Hovetorp retour) und Götakanal nach Westen (Motala – Sjötorp am Vänernsee retour). In der Vor- und Nachsaison sind die Kanäle zwar offen, aber die Schleusen und Brücken werden nicht vor Ort bedient. Die Boote werden zu Konvois mit festem Fahrplan zusammengestellt und ein Schleusenwärter begleitet den Konvoi mit dem Auto. Vorteil: Kaum Wartezeiten an Schleusen und Brücken, Nachteil: Keine Flexibilität für Aufenthalte unterwegs. In der Hauptsaison kann man sich freier bewegen, muss aber mit langen Wartezeiten vor den Schleusentreppen und mit vollen Gästehäfen rechnen.
Wir buchten zwei Wochen im Mai 2024 (Vorsaison) und wählten in der ersten Woche die Kindakanalroute, in der zweiten Woche die Westroute des Götakanals und nutzten den Samstag zwischendrin für einen Abstecher nach Vadstena am Vätternsee. Vadstena ist eine Reise wert: Das fängt schon damit an, dass der Gästehafen im Burggraben des imposanten Schlosses liegt. Noch nie in meiner nautischen Laufbahn hatte ich einen Liegeplatz vor einer solchen Kulisse! Der Ort ist sehr hübsch, mit einem historischen Platz im Zentrum, alten Häusern und viel Grün, einer gepflegten Seepromenade und einem sehr guten Restaurant mit ausgezeichneter kreativer Küche (rechtzeitig reservieren: www.restauranghornet.se). Entlang
des Götakanals gibt es zwar eine Vielzahl von Restaurants und Cafés, aber das Angebot ist eher eintönig. Wir assen deshalb meist an Bord. Einkaufen ist in Schweden einfach, die Supermärkte haben täglich bis 22 Uhr geöffnet, auch in kleinen Ortschaften. Nur die Versorgung mit alkoholischen Getränken erfordert etwas Planung, denn diese sind nur in den staatlichen Alkoholgeschäften erhältlich (www.systembolaget.se).
Zum Schluss ein Wort zum Schleusen
Die 58 Schleusen zwischen Sjötorp und Mem sind alle 30 Meter lang und 7 Meter breit, die Hubhöhe beträgt in der Regel um 3 Meter. Bei jedem Schleusenvorgang werden etwa 750 Kubikmeter Wasser bewegt. Damit die Schleusung nicht ewig dauert, schiesst das Wasser heftig in die Schleuse (aufwärts) oder aus der Schleuse (abwärts). Die dadurch verursachten Strömungen erfordern die volle Aufmerksamkeit an den beiden Leinen. So praktisch die Erfindung der Schleusentreppe für den Güterverkehr früher war, so anstrengend und eintönig ist das Passieren heute: Nach sechs Tagen hatten wir beide einen ordentlichen Schleusenkoller. Das hat sich zwar in der zweiten Woche auf dem Weg nach Westen wieder gelegt, weil zwischen dem Vätternsee und Töreboda nur wenige Schleusen zu passieren sind. Aber vor dem Abstieg nach Sjötorp beschlossen wir, die drei anderen Boote unseres Konvois alleine weiterfahren zu lassen, zwei Tage Pause in Vassbacken und Lanthöjden zu machen und auf die Rückkehr «unseres» Konvois zu warten, der in diesen zwei Tagen nach Sjötorp hinunter und wieder nach Töreboda hinauf zweimal fast 50 Meter Höhenunterschied zu überwinden hatte. Diese Tage waren wie Ferien!
Das Schleusen an sich ist nicht schwierig: Beim Abwärtsschleusen dürfen die Leinen auf keinen Fall belegt werden, damit das Boot nicht an der Schleusenwand hängen bleibt, sondern müssen von Hand geführt werden. Bei Mehrkammerschleusen kann man das vom Land aus machen und das Schiff auch von Hand in die nächste Kammer verlegen. In der letzten Kammer heisst es dann aber: Einsteigen. Aufwärtsschleusen ist anstrengender und vor der Einfahrt in die Schleuse müssen ein oder zwei Personen mit Bug- und Heckleine an Land abgesetzt werden. Alle Schleusen des Götakanals sind hier beschrieben: www.gotakanal.se/de/booturlaub/alle- schleusen. Und hier gibt es praktische Anleitungen und Tipps fürs Schleusen mit Videos: www.gotakanal.se/de/booturlaub/schleusen-und-schleusung/guide.
Wir haben die zwei Wochen bei schönstem Wetter sehr genossen, aber wir verstehen jetzt auch, warum der Götakanal in Schweden den Übernamen «Skilsmässodiket» trägt. Zu Deutsch: «Scheidungsgraben»…