Mit seinen langen silbernen Locken und dem wilden Bart ähnelt Paul Watson einem modernen Kapitän Ahab, dem fiktiven Walfänger in Herman Melvilles Roman Moby Dick. Aber er versucht, Wale zu retten, nicht sie zu töten. Und dafür wurde er verhaftet.
Seit Jahrzehnten führt der US-Kanadier eine aktive Kampagne auf See gegen das blutige Geschäft der Walfänger, die dafür berüchtigt sind, dass sie ihre Beute mit explosiven Harpunen verstümmeln und töten. Watsons Aktionen sind im Dokumentarfilm mit dem Titel Whale Wars zu sehen, der seine Sea-Shepherd-Crew bei der Blockade und Störung von Walfangschiffen mit Guerilla-Taktiken festhält. Das online verfügbare Filmmaterial zeigt dramatische Konfrontationen im Stil von David und Golitah zwischen den kleinen Schiffen von Watsons Mitstreitern und den riesigen Walfangschiffen.
In einem Videoclip ist ein Mitglied von Watsons Team zu sehen, wie er ein japanisches Schiff über Funk informiert, nachdem er ihm mit seinem Schnellboot den Weg versperrt hat. Er sagt: „Ich werde mich nicht bewegen, ihr müsst mich versenken… Ich werde mich nicht für euch bewegen.“ Der Walfänger überfuhr das Schnellboot und versenkte es. Die sechs Crewmitglieder konnten sich auf das Sea Shepherd Mutterschiff retten. Aber auch neutrale Quellen belegen das blutige Walfanggeschäft. Bereits 2008 haben australische Zollbeamte im Rahmen einer Überwachungsaktion Bilder aufgenommen, um Beweise für den wahllosen Walfang zu sammeln, der im Widerspruch zu Japans Behauptung steht, die Wale würden zu wissenschaftlichen Forschungszwecken gefangen. Diese zeigten unter anderem, wie ein erwachsener und ein junger Zwergwal an Bord des japanischen Walfangschiffes Nisshin Maru gezogen wurden. Die tödliche Wunde, die an der Seite des Kalbes zu sehen war, wurde Berichten zufolge durch eine mit Sprengstoff gefüllte Harpune verursacht.
Japan jagt Wale… und Watson
Omar Todd, der Mitbegründer der Captain Paul Watson Foundation, sagte gegenüber The Telegraph, er befürchte, dass Japan versuche, Watsons Kampagne zum Schutz der Wale und anderer Meeresbewohner zum Schweigen zu bringen. „Paul ist der japanischen Regierung seit langem ein Dorn im Auge, da er sich unermüdlich für den Kampf gegen den illegalen Walfang und andere umweltschädliche Praktiken einsetzt. Sein Aktivismus hat im Laufe der Jahre viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen und ihn zur Zielscheibe für diejenigen gemacht, die ihn zum Schweigen bringen wollen.»
Und so war es. Der 73-jährige Watson wurde im Juli in der grönländischen Hauptstadt Nuuk aufgrund eines Interpol-Haftbefehls aus dem Jahr 2012 (!) verhaftet. Ihm wird vorgeworfen, 2010 bei einem Zwischenfall in der Antarktis ein japanisches Walfangschiff beschädigt und dessen Besatzung verletzt zu haben. Die politische Motivation Japans und Costa Ricas, Paul Watson durch internationale Haftbefehle am Reisen zu hindern, ist seit längerem bekannt. Costa Rica hat seine Anschuldigungen gegen Watson mittlerweile fallengelassen. Viele Länder führten aufgrund dieses Hintergrunds den Haftbefehl nicht aus.
Japan behauptet, dass die Verletzung eines Besatzungsmitglieds durch eine Stinkbombe (Buttersäure) verursacht wurde, welche die Aktivitäten der Walfänger stören sollte. Watsons Stiftung für die Tier- und Pflanzenwelt betont, ihr Aktivismus basiere auf „aggressiver Gewaltlosigkeit und Intervention“, um „illegale Operationen zur Ausbeutung des Lebens im Meer“ zu bekämpfen.
Eine sterbende Industrie
Seit Jahrzehnten gewährt die japanische Regierung den Walfängern jährliche Subventionen für den “wissenschaftlichen Walfang”. 2019 summierte sich die finanzielle Unterstützung der Fischereibehörde auf rund 5,1 Milliarden Yen (rund 37 Millionen Euro). In den ersten beiden Jahren nach dem Austritt Japans aus der IWC wurden die Subventionen für den Walfang auf 1,3 Milliarden Yen (umgerechnet 9,5 Millionen Euro) gekürzt. Im Gegenzug durften japanische Walfänger nach einer offiziellen Genehmigung den kommerziellen Fischfang in den Gewässern vor der japanischen Küste wieder aufnehmen.
Mittlerweile gewährt die Regierung in Tokio statt einer Subvention ein Darlehen in Höhe von 340 Millionen Yen (2,5 Millionen Euro). “Das Darlehen muss zurückgezahlt werden, wenn die Firma schwarze Zahlen schreibt,” erklärte Konomu Kubo, ein Sprecher des Unternehmens Kyodo Senpaku, gegenüber dem Nachrichtenportal DW.
Würde die staatliche Unterstützung vollständig abgeschafft, so Kubo, wären die finanziellen Bedingungen für Japans Walfangindustrie nicht mehr tragbar. Die jährliche Fangquote liegt bei 52 Zwerg-, 150 Bryde- und 25 Seiwalen.
Trotzdem wird im Land der aufgehenden Sonne weiter aufgerüstet. Das neue Flaggschiff von Kyodo Senpaku Co. heisst «Kangei Maru», seine Reichweite beträgt 13 000 Kilometer – ideal, um auch in der Antarktis auf Walfang zu gehen. Die japanische Regierung wiegelt jedoch ab, es soll nur in eigenen Hoheitsgewässern gejagt werden dürfen.
Als Captain Watson in Grönland zum Tanken anlegte, war er auf Suchmission im Kielwasser des Walfängers, der nur dank staatlicher Finanzhilfe ablegen konnte. Denn das Geschäft mit Walfleisch ist schon längst keines mehr. Der kostendeckende Preis für ein Kilogramm Walfleisch liegt zurzeit bei 1.200 Yen (8,80 Euro). Nach Angaben der Fischereibehörde wurden jedoch die 2.000 Tonnen Walfleisch, die im Jahr 2020 auf den Markt gebracht wurden, nur zu einem Durchschnittspreis von nur 1.100 Yen (8,08 Euro) verkauft. Die geringen Gewinne aus dem Verkauf von Walfleisch reichten nicht aus, um die Kosten für den ‘wissenschaftlichen’ Walfang zu decken, heisst es in einem Bericht der Tierschutzorganisation WDC. Und der Trend zeigt immer mehr abwärts. Eine Übersicht des japanischen Fischereiministeriums zeigt, dass der Konsum im Jahr 2021 so gering war, dass er nicht einmal mehr in der Statistik auftaucht.
Wie sollen also die Kosten in Höhe von sechs Milliarden Yen (44 Millionen Euro) für das neue Fabrikschiff gedeckt werden? Durch höhere Fangquoten und mehr Konsum: “Ich denke, dass Walfleisch geschmacklich und je nach Zubereitungsart ein hochwertiges Nahrungsmittel ist, das Rindfleisch und Thunfisch in nichts nachsteht”, sagt Firmensprecher Kubo. “Wir glauben, dass Marketing und Werbung den Wert und den Absatz von Walfleisch steigern.” Ausserdem gehöre der Verzehr von Walfleisch zur japanischen Kultur und der Walfang trage zur Versorgungssicherheit des ressourcenarmen Landes bei.
Der Walretter in Ketten
Das Sea Shepard Schiff „John Paul DeJoria“ war mit Paul Watson und 25 freiwilligen Besatzungsmitgliedern unterwegs in den Nordpazifik, um das neue japanische Walfangschiff zu beobachten und notfalls zu stören. Zum Tanken lief Captain Paul Nuuk an, die Hauptstadt des autonomen dänischen Aussengebiets. Dort kamen am 21. Juli mehr als ein Dutzend Polizeibeamte an Bord und führten Watson in Handschellen ab. Die grönländische Polizei erklärte, die Verhaftung des Umweltschützers sei aufgrund eines internationalen Haftbefehls, einer sogenannten „Red Notice“, erfolgt, die von Japan ausgestellt wurde.
Watson wurde einem Bezirksgericht vorgeführt, das über seine mögliche Auslieferung nach Japan entscheiden soll. Julie Stage, Watsons Anwältin, hat die Vorwürfe zurückgewiesen und seine sofortige Freilassung gefordert. Sie behauptet, dass der Haftbefehl „auf Fakten beruht, die schlichtweg falsch sind“ und argumentiert ausserdem, dass Aufnahmen aus dem Dokumentarfilm Whale Wars zeigen, dass Watson „nicht einmal anwesend war, als die Stinkbombe geworfen wurde“.
Nach Angaben seiner aktuellen Organisation, der Captain Paul Watson Foundation, drohen ihm im Falle einer Auslieferung bis zu 15 Jahre Haft. Die Organisation rief unter anderem die deutsche Bundesregierung dazu auf, sich für ihn stark zu machen und Druck auf Grönland sowie Dänemark auszuüben. Grönland ist weitgehend autonom, zählt aber offiziell zum Königreich Dänemark, womit die definitive Entscheidung über die Auslieferung beim dänischen Justizministerium liegt. Bei Redaktionsschluss wurde die Haft bis zum 2. Oktober 2024 verlängert.
Die Captain Paul Watson Foundation forderte die dänische Regierung auf, Watson freizulassen und das Ersuchen Japans als politisch motiviert abzulehnen. Die Petition, die bereits mehr als 150.000 Unterschriften (Stand 6. September) erhalten hat, kann man auf der Website der Foundation unterstützen:
www.paulwatsonfoundation.org