Fedor Konyukhov – Im Ruderboot allein um die Antarktis

Am 5. Dezember letzten Jahres nahm der russische Priester, Abenteurer und Künstler von der Drake Passage an der Spitze von Südamerika Kurs auf Cape Leewin in Westaustralien. Rund 9’000 Seemeilen muss er dafür in seinem Ruderboot zurücklegen. WAVE sprach mit seinem Sohn Oscar, der die wahnwitzigen Exploits seines Vaters organisiert.

Je älter Fedor Konyukhov wird, desto verrückter werden die Abenteuer, die er in Angriff nimmt. Nachdem er die Antarktis bereits segelnd umrundet hat, versucht er jetzt das Gleiche im Ruderboot. Doch die Herausforderung ist dermassen gross, dass selbst Rekord- und Extremruderer Fedor das nicht in einem einzigen Schlag schafft. Aktuell ist dies die zweite Etappe der Antarktisumrundung. In den Jahren 2018–2019 absolvierte Fedor erfolgreich den ersten Streckenteil von Neuseeland bis zur Drake Passage in Ushuaia. Er brauchte 154 Tage, um die 7’000 Seemeilen zurückzulegen: Weltrekord. Zum ersten Mal in der Geschichte hatte ein Mensch die Strecke von Neuseeland nach Südamerika rudernd zurückgelegt. Und mit 73 Jahren nahm er jetzt den letzten Teil in Angriff…

Geht nicht gibt’s nicht

Wer ist dieser unscheinbare Superheld, der aussieht wie eine Mischung aus Reinhold Messner, Rasputin und Joshua Slocum? Wenn es Männer in seinem Alter nochmals so richtig krachen lassen wollen, kaufen sie sich entweder eine Harley Davidson oder potente Arbeitsutensilien aus dem Gartencenter. Nicht so Fedor. Schliesslich hat er an der Seite der Vietcongs gekämpft und die höchsten Gipfel auf allen Kontinenten bestiegen, war dreimal zu Fuss am Nordpol, einmal am Südpol und zweimal auf dem Everest – dann verlieren gepflegte Balkonpflanzen im Pensionsalter völlig ihren Reiz. Denn Fedor hat schon so einiges erlebt. Aufmerksam auf ihn wurde ich bereits 1998, als er die Round Alone Regatta auf seiner Open 60 «Modern University of Humanities», einem Nandor Fa Design, absolvierte. Was ich damals nicht wusste: es war bereits seine zweite Nonstop-Weltumsegelung. Das Resultat war nicht berauschend, aber ohne kommerziellen Sponsor lag eben nicht mehr drin. Und wie gesagt: für Fedor zählt die Sache an und für sich, nicht das Resultat, noch weniger ein Rekord. Geblieben ist mir das Bild des bärtigen Skippers mit seinem Look aus zwei Welten: trotz seinem modernen Ölzeug sah er mit einer altmodischen abgewetzten Kapitänsmütze irgendwie aus wie Rasputin. Zwei Jahre später taucht Konyukhov am Start zur Vendée Globe 2000 auf, muss aber wegen gravierender technischer Probleme das Rennen in Sydney abbrechen. Die alte Open 60 wird praktischerweise gleich vor Ort verkauft. Dass er als Rookie im März des gleichen Jahres das längste und härteste Schlittenhundrennen Alaskas (er brauchte für die 1’800 Kilometer des legendären Iditarod-Races 15 Tage) erfolgreich absolviert hatte, entzog sich meiner Kenntnis – mir war ja nur der Seefahrer Konyukhov bekannt.

Und der Abenteurer legt 2002 noch einen drauf: im Ruderboot geht es über den Atlantik. Die 3’000 Seemeilen von den Kanarischen Inseln nach Barbados paddelt Fedor ganz stoisch in 46 Tagen ab. Schneller ist er im darauffolgenden Jahr. Dank dem Einsatz seines Sohnes Oscars (mit einem Diplom in Sportmarketing in der Tasche) begeistert sich ein grosser russischer Sponsor für die Projekte. Zusammen mit Tony Bullimore (wieder ein Verrückter) auf «Alye Parusa» (Ex-Enza, der 100 Fuss Rekordkatamaran von Sir Peter Blake), stellt Fedor im März mit 9 Tagen einen neuen Transatlantikrekord von Ost nach West auf. Auch auf dem Rückweg von West nach Ost setzt das russisch-britische Duo gleich nochmals einen neuen Rekordwert.

Auf seinem neuen 85 Fuss Monohull (Sponsor Alye Parusa sei Dank) brettert Fedor 2004 als Solosegler wieder über den Atlantik – und wieder kann ihm der World Sailing Speed Record Council einen neuen Rekord bestätigt. Auch in der Luft ist er ein Held. Konyukhov hält den Rekord in der Weltumrundung mit dem Heissluftballon. Als er 2016 mit seiner Kapsel gelandet war, lagen 11 Tage in 10’000 Meter Höhe hinter ihm, die meiste Zeit mit Sauerstoffmaske. Fedor war dabei mit bis zu 300 Stundenkilometern unterwegs. Bei Temperaturen bis zu minus 56 Grad und arktischen Winden hatte er mit Eis und Schnee zu kämpfen. Die Flugroute führte von Perth in Westaustralien über Neuseeland, den Pazifischen Ozean, Südamerika, das Kap der Guten Hoffnung und das Südpolarmeer. 34’820 Kilometer legte er dabei zurück und brach damit den Rekord eines anderen Verrückten: Steve Fossett hatte 2007 auf einer ähnlichen Route für eine kürzere Strecke zwei Tage mehr benötigt. Der Rekord beeindruckte ihn wenig, er wollte ja einfach nur im Ballon um die Welt fliegen, ganz im Sinne von Jules Verne und der Tradition eines Phileas Fogg.

Was viel interessanter ist, sind die sanften Seiten des zähen Extremsportlers. Zwischen und auch während seiner Abenteuer zeichnet und malt Fedor seine Erlebnisse und Visonen. Im Laufe der Jahre mutierte sein Stil von Tagebuchzeichnungen zu reduzierter Schwarz-weiss-Grafik. Rund 3’000 Werke hat Fedor, Mitglied der Russischen Akademie der schönen Künste nach eigenen Angaben realisiert, darunter Zeichnungen, Ölgemälde und Skulpturen. Erstaunt es Sie jetzt, wenn ich Ihnen sage, dass er auch 22 Bücher geschrieben hat? Wenn Sie nun meinen, da kommt nichts mehr – Fehlanzeige. Nach seiner Ausbildung an der Marine Akademie in Odessa und St. Petersburg (damals noch Leningrad) fand Fedor später seine Berufung. Es wird wohl die Einsamkeit des Abenteuers, Schlüsselerlebnisse und die intensive Begegnung mit der immensen Natur von Ozean und Bergwelt gewesen sein, die ihn mehr und mehr zu einer religiösen Beschäftigung hinzog. So ganz nebenbei, zwischen einem Abenteuer und dem anderen, liess er sich noch zum russisch-orthodoxen Priester ausbilden.

Am 5. Dezember letzten Jahres startete Fedor mit seinem Ruderboot von der Drake Passage in Richtung Westaustralien. Ungefähr 9’000 Seemeilen will er in etwa 200 Tage zurücklegen, wenn alles gut läuft. Aber Planung ist eines, die Realität etwas anderes.

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