Patrice de Colmont – Patrice im Strandparadies

Zehn Jahre ist es jetzt her, dass die französische Seglerin Florence Arthaud unsere Welt verliess. Trotz eindrucksvoller Siege auf dem Wasser haderte sie mDieses Jahr feierte der legendäre Club 55 sein 70-jähriges Bestehen. Aus ganz bescheidenen Anfängen hat sich der Club zur Must-Adresse am Plage de Pampelonne gemausert. Es waren die Eltern von Patrice de Colmont, die sich hier ein kleines, bescheidenes Paradies geschaffen hatten, ohne Strom und fliessendes Wasser. Und ganz so bescheiden, aber mit viel Humor, Verrücktheit und Hingabe, hat Patrice ab 1981 den Regattazirkus nach Saint-Tropez geholt.it dem Leben… an Land. Die Geschichte einer Rebellin mit grossen Träumen.

Ende der 1940er Jahre tauchte die Familie de Colmont in der Bucht von Pampelonne auf. Bernard de Colmont, Ethnologe, Dokumentarfilmer und vielseitiger Globetrotter, kam damals mit einem Boot an den Strand. Er drehte eine Reportage über den Orangentransport von den Balearen nach Südfrankreich. Die einsame Schönheit der Bucht und ihre vor Mistral geschützte Lage faszinierten den Wissenschaftler und so liess er sich in den folgenden Jahren mit seiner Frau und seinen Kindern dort nieder. Die Familie zeltete zunächst hier und da am Strand von Pampelonne, bevor sie ein kleines Grundstück kaufte und eine Holzhütte baute. Der Vater erklärte damals sein Credo: «Wenn ein verirrter Reisender vorbeikommt, werden wir ihm Gastfreundschaft anbieten, so wie mir Gastfreundschaft angeboten wurde, als ich am anderen Ende der Welt unterwegs war.» Freunde, Nachbarn, Besucher – viele kamen zum Essen an den Tisch. Bald übernahm die Mutter Geneviève die Aufgabe, die zahlreichen spontanen Gäste am grossen Tisch zu verköstigen.

Bild links: Bernard de Colmont und seine Frau Geneviève waren echte Abenteurer. Berühmt wurden sie durch ihre Bezwingung des Colorado Rivers, die sie auf Film dokumentierten und auf Vortragsreisen präsentierten.

Dann kommt das Jahr 1955. Roger Vadim dreht in Saint-Tropez den Film «Und Gott schuf die Frau», mit Brigitte Bardot und Curd Jürgens. Am Strand von Pampelonne sieht er die grossen Tische mit den fröhlichen Menschen und glaubt, ein Bistro gefunden zu haben. Er fragt Geneviève, ob der Ort zur Kantine für das Team werden kann. Das Angebot ist verlockend: 80 Personen jeden Mittag! Sie willigt ein und freut sich über die unverhofften Einnahmen. Doch Bernard plagt das schlechte Gewissen. Er hat ja keine Lizenz und deshalb wird er in der Gemeinde vorstellig. Die Prozedur droht langwierig zu werden, er braucht die Bewilligung aber sofort. Von der Administration bekommt er einen Tip: Wenn er einen privaten Club gründe, könne niemand etwas dagegen haben. Gesagt, gegründet: mit der aktuellen Jahreszahl wird die Vereinigung Club 55 getauft. Einige administrative Schritte später wird der Ort offiziell zu einem öffentlich zugänglichen Restaurant.

Bild rechts: Leben wie Robinson: Die bescheidenen Anfänge des Club 55
Bild links: Die Reste des Fischerbootes aus dem Film „Et Dieu créa la femme“ mit Brigitte Bardot sind heute Teil der Beachbar.

«Wenn ein verirrter Reisender vorbeikommt, werden wir ihm Gastfreundschaft anbieten, so wie mir Gastfreundschaft angeboten wurde….»

Regatta Office à la Saint-Trop: Patrice (zweiter von links, sitzend) ist die Seele des Club 55 und Vater der Nioulargue, aus der die Voiles de Saint-Tropez entstanden sind.

RETOUR À LA NATURE

Als Patrice de Colmont und seine Schwester Véronique die Leitung des Club 55 übernehmen, bleibt diese Philosophie bestehen. Patrice de Colmont steht mit beiden Beinen fest auf dem Boden und bürgt für die Unbeschwertheit und das einfache Glück des Club 55. «Die Speisekarte ist ‹provenzalisch am Meer› mit Gerichten, die nicht von einem Profikoch zubereitet werden, sondern von Menschen, denen es am Herzen liegt, lokale Produkte der Saison zu servieren,» verrät der enge Vertraute von Pierre Rabhi, mit dem er zusammen einen Stiftungsfonds gegründet hat, um Menschen vor Hunger zu retten, indem sie sich selbstständig und im Einklang mit der Erde ernähren können. Und de Colmont macht Nägel mit Köpfen, kauft einen Bauernhof, weil er «sich für die Herkunft und die Kultur der Produkte interessiert.» Auf sechs Hektaren verwirklicht er die Idee seines Vaters und macht mit dem Anbau eigener Produkte seine eigene Philosophie wahr. Der dem Club 55 am nächsten gelegene landwirtschaftliche Betrieb war damals der Bauernhof Vallon des Bouis. «Ich kannte diesen Ort gut. Die Besitzer waren die Eltern eines Freundes aus meiner Kindheit.» Nach dem Kauf des Anwesens begann ein neues Abenteuer. «Ich hatte keine Ahnung! Ich bin mit wenig Wissen und viel Überzeugung gestartet. Je näher man der Natur ist, desto weniger kann man falsch machen!» 2002 ist das Tal verwildert, mit einem Hektar Weinreben in schlechtem Zustand und Olivenbäumen, die vom Unkraut überwuchert sind. Dann tritt die Familie Drion auf den Plan. «Als Gastronomen haben wir eine grosse Verantwortung, die Menschen gesund zu ernähren. Und wer uns das ermöglicht, sind die Bauern. Bei uns sind das Amélie und Nicolas Drion!» Patrice de Colmont ist froh, dass er das junge Paar vor 20 Jahren kennengelernt hat. Mit viel Arbeit und Engagement haben sie das Anwesen aufgewertet, als wäre es ihr eigenes. Sie haben mittlerweile drei Kinder: Jules, 11 Jahre, Marin, 8 Jahre, und Jeanne, 5 Jahre. Für die Familie Drion ist Les Bouis ein Garten Eden und ein toller Spielplatz – und tolle Lebensqualität: «Wir geniessen unsere Kinder und arbeiten gleichzeitig… ideal, um Privat- und Berufsleben bestmöglich zu vereinbaren.»

Auf dem Weingut Les Bouis ist Astrakan, ein prächtiges Zugpferd, der treueste Mitarbeiter von Amélie und Nicolas Drion. Er wird für die Pflugarbeiten rund um die Weinreben, Olivenbäume und Gemüsegärten eingesetzt. «Wir hätten nie gedacht, dass wir eines Tages mit einem Pferd arbeiten würden», gesteht Nicolas. «Mit ihm können wir unerwünschte Pflanzen mit grösstem Respekt für die Rebstöcke ausreissen. Mit ihm spüren wir, was im Boden vor sich geht, die härteren Stellen, die Qualität der Erde… Und im Gegensatz zu Traktoren verdichtet er nicht den Boden, sodass sich das mikrobielle Leben – insbesondere die Regenwürmer – entwickeln kann und der Boden reichhaltig bleibt.» «Dieses Pferd ist wirklich keine Folklore!», fasst Patrice de Colmont zusammen.

Astrakan, der vierbeinige Traktorersatz aus der Franche-Comté.

VOM HOF IN DEN CLUB

Heute geht das gesamte auf dem Bauernhof angebaute Gemüse an den Club, mit Ausnahme des Anteils der Familie Drion. Der Wein wird an verschiedenen Orten verkauft. Rot, rosé und weiss – die drei Farben der Appellation Côtes-de-Provence sind sehr erfolgreich, was nicht verwunderlich ist. Amélie und Nicolas sind beide Kinder von Winzern, und die Pflege der Weinberge von Les Bouis und Ramatuelle, die das Gut ergänzt haben, nimmt den grössten Teil ihrer Arbeitszeit in Anspruch.

Die Produkte der Ferme des Bouis sind die wichtigsten Zutaten für die Gerichte der Speisekarte des Club 55 – Gemüsekorb, Artischocken mit Vinaigrette, Blätterteiggebäck aus Ramatuelle, Pampelonne-Salat, traditionelles Ratatouille. Erbsen, Mesclun, Salate, Kohlrabi, Schwarzkohl, Ochsenherztomaten, Ananastomaten, Bohnen, Patissons, Koriander, Basilikum, Minze…

«Hier kocht nicht der Chef, und der Kunde ist nicht König, weil er ein Freund ist!»

Bernard de Colmonts Motto gilt im Club 55 mehr denn je

Gute Ideen, gute Laune und immer für einen Spass zu haben: Patrice (Mitte) mit Jean Laurin, Skipper von Ikra (links) und Dick Jason (rechts), Eigner von Pride bei der Siegesfeier 1981. Die Trophy: eine Kompottschüssel der französischen Marine…

REGATTAMANAGER & MENSCHENFREUND

Als aus dem Plauschrennen zwischen Ikra und Pride eine richtige Regatta zu werden drohte, musste ein organisierender Club her. Kurzerhand gründeten Patrice und seine Copains den International Yacht Club Pampelonne, um beim französischen Segelverband den nötigen Status zu erlangen. Die rund 30 Mitglieder konnten sich während der Nioulargue auf die Mithilfe von mehr als 200 Einheimischen verlassen, die bei der Durchführung des Segelspektakels tatkräftig mithelfen.

Doch das Yachtingfest wird jedes Jahr grösser und zieht immer mehr Besucher an, die sich mit ihren Booten zwischen den Regattayachten tummeln. 1995 wird es dann zu eng: die 6m JI Taos Brett (in der Schweiz besser bekannt als Sylvrette) ist unterwegs zur Luvtonne, als sich der 40-Meter-Schoner Mariette auf den Start vorbereitet. Die Kurse kreuzen sich, Mariette will ausweichen, kann aber nicht, da Candida mit ihren 160 Tonnen Wegerecht hat. Der Anker von Mariette verfängt sich im Rigg der Taos Brett, die vom abgerundeten Bug unter Wasser gedrückt wird. Ein Crewmitglied ist unter Deck und versinkt mit dem Schiff. Es folgen Prozesse und juristische Schlachten, die Nioularge bleibt jahrelang blockiert und wird schliesslich aufgelöst. Mit einer neuen Organisation unter der Société Nautique de Saint-Tropez erlebt das Segelfest 1999 einen Neustart und entwickelt sich zum einzigartigen Yachtingevent, wie wir ihn heute kennen (siehe auch Rubrik ACTION in dieser Ausgabe).

«Als Gastronomen haben wir eine grosse Verantwortung, die Menschen gesund zu ernähren!»

Patrice de Colmont, der gewissenhafte Gastgeber

PATRICE, DER PRINZ & DER CAPTAIN

Letztes Jahr traf ich Patrice de Colmont in seinem Club zum Interview. Auf die Frage, warum überall in Saint-Tropez und bei Ihm handgemalte Fahnen und Banner mit der Parole «Free Paul Watson» herumhingen, bekam ich eine ausführliche Geschichte als Antwort. Captain Watson sass damals wegen einem japanischen Haftbefehlt in Grönland in Haft (siehe Wave 64 «Free Paul Watson»). Patrice hatte Jahre davor dem Walschützer Unterschlupf gewährt und der Captain wohnte mit seiner Frau in einem Nebengebäude des Schlosses La Mole. Als der damalige Prinz Frederick von Dänemark im Club 55 speist, fragt ihn Colmont, ob er sich nicht mit Watson treffen möchte. Nicht nur dem Captain ist das jährliche Gemetzel auf den Faroerer-Inseln längst ein Greuel und er möchte den passionierten Segler (mit Haifisch-Tattoo am Unterschenkel) überzeugen, dass man Delphine lieber lebend neben dem Boot schwimmen sehen möchte, als blutend in einer Bucht. Doch kurz vor dem vereinbarten Zusammentreffen bekommt der Prinz kalte Füsse … was, wenn ein Paparazzi das Treffen fotografiert? Der Skandal wäre nicht auszumalen! Also bläst der Prinz das Treffen kurzfristig ab. Watson ist jedoch schon auf dem Weg und trifft im Club 55 in voller Kapitänsmontur ein. Patrice versucht vergeblich, ihn vom Treffen abzuraten. Ein Wort ist ein Wort, poltert der Umweltschützer und marschiert auf den Tisch seiner Hoheit zu. Der drückt in der Hosentasche auf sein Alarmgerät, vier Bodyguards blockieren Watson, der Prinz entfleucht. Trotzdem garantiert ihm der Prinz, dass er in Grönland sein Schiff auftanken könne. Leider vergisst sein Minister, diese Abmachung als Weisung nach Grönland zu senden. Oder die Autonomiebehörde hat dafür keine Ohren, denn sie hat die Fischereirechte um Grönland an Japan verpachtet und verfolgt eigene Interessen. Und so kommt es, dass Captain Watson bei seinem Tankstopp überraschend festgesetzt wird.

«Vergiss vor allem eines nicht: Gott vergibt immer, der Mensch manchmal, die Natur vergibt nie, wenn man sie nicht respektiert.»

Patrice de Colmont mit seinem Lieblingszitat von Papst Franziskus

BONJOUR TRISTESSE

Prinz Frederick ist in der Zwischenzeit König, segelt immer noch an den Voiles mit und Captain Paul Watson ist ein freier Mann, denn der internationale Haftbefehl gegen ihn wurde aufgehoben. Und Patrice hat die Welt wieder ein bisschen besser gemacht…

Er hatte noch so viele Projekte und noch mehr Träume, doch für ihn endet die Geschichte hier. Eine Woche nach den 26. Voiles verstarb Patrice de Colmont im Krankenhaus. Françoise Sagan, die als Testimonial nachdenklich vom Leuchtturm bei der Hafeneinfahrt blickt, liefert mit ihrem ersten Erfolgstitel «Bonjour Tristesse» den einzigen Tropfen Wehmut des Events. Aber der Geist von Patrice wird weiterleben, er als Apostel hat seinen Humanismus in viel zu viele Herzen gepflanzt, als das er je vergessen werden könnte…

T: Stefan Detjen
F: Jürg Kaufmann/Archive Patrice de Colmont/Philippe Conti/Regina & Stefan Detjen/Stéphane Girel/Jean-Marc Hauret

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