Jede Koralle zählt
Ehemaliger Banker führt Korallenbänke aus der Krise
Ahmad Allahgholi (Aki) kennt sich aus mit Zahlen. Der Gründer von Coralive (er)zählt, warum Korallen von seinem Finanzgeschick als ehemaliger Banker profitieren und weshalb es der grösste Gewinn seines Lebens ist, sein Kapital und seine Energie in den Meeresschutz zu investieren.
Die Hälfte der Flachwasser-Korallen sind in den letzten 30 Jahren bereits gestorben. 40% davon sind gefährdet und nur noch 30% in gutem Zustand. Das sind Fakten, die man wissenschaftlich untersuchen muss. Weitergerechnet bedeutet das, dass bis zum Jahr 2050 90% aller Korallen der Wasser- erwärmung, Meeresverschmutzung und anderen Zerstörungen zum Opfer fallen, wenn der Mensch nicht dagegen steuert. Und nach Kurswechsel zum Thema Klimaerwärmung sieht es auch nach vielen Konferenzen wirklich nicht aus.
Das weiss auch Aki. Sein Name lässt auf seine iranische Herkunft schliessen. Doch als geborener Schweizer hat er eine klassische Erfolgskarriere im Finanzwesen inklusive Burnout hingelegt. Zu seinem Full-Power-Job im Investmentsektor einer Privatbank hat er nebenbei noch eine Rooftop-Bar im Messeturm in Basel geführt. Aki ist einer, der ganz hoch hinauswollte. Und einer, der rechnen kann.
Erwartet habe ich einen hektischen Vorantreiber – und wurde enttäuscht. Getroffen habe ich einen selbstzufriedenen humorvollen Mann, der mit seinen 2 Metern eine Behutsamkeit ausstrahlt, die ich ihm nicht zugetraut hätte.
Aki – immer mehr Korallen sterben weltweit. Vor Australien oder im Pazifik. Warum ist diese apokalyptische Nachricht für uns bedeutend?
Das gesamte Ökosystem droht durch den abrupten Rückgang zu kippen. Korallenriffe decken zwar nur 0.1% des Ozeans ab, beherbergen aber 25% der Biodiversität unter Wasser. Zumindest für die Tropen gilt: Ohne Korallen gibt es keine Fische. Die kleinen Riff-Fische sind Futter für die Anderen, die wiederum sind Futter für die noch Grösseren und so weiter. Ohne Korallenriffe würde die weltweite Fischpopulation massiv zurückgehen, Küstenlandschaften wären vor Wellen ungeschützt und würden veröden. Ganz abgesehen vom Einfluss auf die Menschen, die vom Fischfang leben und natürlich dem Tourismus.
Was lebt an einer Koralle und was passiert, wenn sie stirbt?
Einfach erklärt! Korallen sind Nesseltiere. Die kleinste Einheit einer Koralle ist der Polyp. Dessen Tentakel filtern Plankton aus dem Wasser und produzieren Kalk-stein. Eine Algenart (Zooxanthelle) lebt in der äussersten Schicht und geht mit der Koralle eine Symbiose ein. Sie versorgt die Koralle mit Energie, verleiht ihr die bunten Farben und – schützt sie vor der Sonne. Bei Hitzewellen und hohen Wassertemperaturen verlieren die Algen ihr wichtigstes Pigment, das Chlorophyll, und sie sterben ab. Danach stirbt auch die Koralle, oder Teile von ihr.
Wir sitzen gerade im AquaTerra Coral Restauration Centre im Soneva-Fushi Resort auf den Malediven. Das siebtbeste Hotel weltweit ist seit 2 Jahren dein Arbeitsplatz. Ein exklusiver Ort für eine Naturschutzstation. Wieso hast du dir gerade diese Location ausgesucht?
Korallenrenaturierung ist teuer und man braucht Sponsoren. Am besten solche, die unmittelbar von neuen Riffen profitieren. Da bietet sich eine Zusammenarbeit wie mit dem luxuriösen Eco-Resort Soneva Fushi an, das auf Nachhaltigkeit setzt. Der Besitzer, Sonu Shivdasani, hat mich angefragt, ein Vorzeige-Projekt auf seiner Insel zu etablieren. Dank seiner guten finanzkräftigen Unterstützung züchten wir bereits im 2. Jahr jährlich ca. 100‘000 Korallen. 50‘000 Exemplare dieser Korallenfarm haben wir bereits im Meer ausgesetzt. Das ist gigantisch. Der Nutzen kommt letztendlich nicht nur dem lokalen Tourismus zugute, sondern dem gesamten Ökosystem. Die Grösse dieses Projekts ist ein Meilenstein für Coralive.
Die Malediven sind nur eines von euren Projekten. Wie viele sind es insgesamt?
Coralive ist im Moment an 6 verschiedenen Standorten weltweit. Und einige neue grosse Projekte sind gerade in der Aufbauphase. Seit meiner Gründung von Coralive im Jahr 2016 waren wir bereits an 17 Destinationen tätig.
Das hört sich gigantisch an. Wie gross ist die Organisation Coralive?
Das Kernteam besteht aus 10 Personen. Aber wir haben einen Pool von ca. 300 Meeresbiologen, die länger oder zeitweise für uns arbeiten. 18 davon sind gerade auf den Malediven und von ihnen sind 14 auf das Thema Korallen spezialisiert. Ein starkes internationales Team mit viel Erfahrung. Die meisten von ihnen sind Masterabsolventen aber wir haben auch einen Doktoranden.
Gehen wir mal zurück zum Anfang. Du warst noch vor ca. 10 Jahren Banker, Party-Animal und Barbetreiber. Wie wird aus dieser Laufbahn ein Naturschützer?
Als ich in Basel in meiner Bankenkarriere dem Kapitalismus hinterhergerannt bin, konnte ich mir nicht vorstellen, dass ich mit Ende 30 meine gesamten Ersparnisse und meine Energie in den Meeresschutz investieren würde (lacht). Aber ein Burn-out hat mich zum Sinneswandel bewogen, dass nicht Geld, sondern Natur das Wichtigste in meinem Leben sein soll. Ich hatte mich eingeschlossen und Siddharta von Hermann Hesse gelesen. Danach war ich gestärkt und zuversichtlich, dass ich etwas ändern kann.
Und du hast dann was gemacht?
Ich bin gereist und habe mich beim Tauchen in die Unterwasserwelt verliebt. Bis ich festgestellt habe, dass ich mit meiner Begeisterung der Natur mehr schade, als dass ich ihr helfe. Dann habe ich mich entschlossen, mein Leben der Nachhaltigkeit zu widmen.
Nach meinem ersten Volontariat auf Madagaskar habe ich mich entschieden, in Costa Rica den Master in Sustainable Natural Resource Management zu machen. Ein Unidozent hat mich motiviert, mich im Costal Research Management zu engagieren. Das habe ich gemacht und mich auf den Philippinen weitere 2 Jahre einem Projekt gewidmet, bis ich gemerkt habe: Ich muss meine eigene Organisation gründen.
Es gibt doch bereits viele NGOs, die sich um die Korallenrenaturierung kümmern. Warum hast du dich nicht einfach dort angehängt?
Vor der Gründung von Coralive hatte ich Einblick in die Arbeit vieler Korallenschutz-Organisationen. Der Output an Korallen war mir zu gering. Ich wollte kein Projekt, das nur ein Tropfen auf den heissen Stein ist. Auch für Umweltschutz braucht es Disziplin, Marketing und Verständnis für Finanzen. Korallenschutz ist teuer. Mit meinem schweizerischen Milchbüchlein-Denken wollte ich den Prozess so effizient wie möglich machen, damit der grösstmögliche Output der Natur zugutekommt.
Ok. So weit, so gut. Und was macht Coralive anders als die anderen?
Unser Approach ist der Fokus auf die Wirtschaftlichkeit. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse nutzen wir, um unsere 4 verschiedenen Methoden einzusetzen und weiterzuentwickeln, um grossflächig Korallenriffe zu renaturieren. Wir setzen auf Menge.
Australische Wissenschaftler haben definiert, dass man 1 Billionen Korallen jährlich aussetzen müsste, um Riffe auf ein Niveau wie vor 20 Jahren wiederherzustellen. Das ist für mich die Messlatte. Coralive schafft mit seinen Projekten ca. 150‘000 pro Jahr. Wir haben noch Luft nach oben. Ausserdem haben wir die Mineral Accretion Technology (MAT) weiterentwickelt. Das ist eine Variante, bei der Korallen durch Stromimpulse schneller wachsen. Wir setzen mittlerweile 4 verschiedene Techniken ein, um die Korallen zu vermehren.
Wow. Das hört sich nach grossem Engagement an.
Ja – unser Motto ist: Think big! Aus der Kleckerphase sind wir raus. Wir erhalten mittlerweile grosse Projekt-Angebote von finanzstarken Investoren. Von meiner Rolle als Banker weiss ich, wie man mit internationalen Geldgebern umgeht und sich Respekt als seriöser Partner verschafft. Das ist ein Vorteil. Und meine iranische Herkunft öffnet Türen bei orientalischen Investoren. Ich kann die Leute an den Tisch bringen und sie motivieren, gemeinsam in eine Richtung zu schauen. Aber Geld ist eben nur der Weg zum Ziel. Mein Herz schlägt für die Korallen.
Die menschgemachten Umstände, die zur Zerstörung der Korallen führen, ändern sich wohl kaum in den nächsten paar Jahren. Macht es trotzdem Sinn, so viel Zeit und Geld in die Renaturierung zu investieren?
Die Frage ist berechtigt, aber sie bringt uns nicht weiter. Wenn wir warten, bis sich das Verhalten der Menschen und
die Umweltbedingungen ändern, dann ist es zu spät. Wir müssen jetzt aktiv werden und die Bestände sichern und den Korallen die Chance geben, sich anzupassen. Korallen können sich zum Glück an veränderte Temperaturen adaptieren. Wir nutzen den Genpool derjenigen, die eine Hitzewelle überstanden haben. Die sind robust und können sich wahrscheinlich auch in Zukunft an wärmeres Wasser anpassen. Sind die Riffe erst einmal tot, können wir sie nicht mehr zum Leben erwecken.
Was die menschgemachte Zerstörung durch Ablagerungen von Mikroplastik, industrielle oder Dynamitfischerei und andere Schädigungen betrifft, da muss natürlich auch etwas getan werden. Jeder kann einen Beitrag leisten. Jährlich landen ca.14‘000 Tonnen Sonnencreme im Meer, die die Korallen zu ersticken drohen. Ein Anfang ist schon gemacht, wenn man auf riff-freundlichen Sonnenschutz achtet. Also ohne Oxybenzone und Ocinoxate.
Welchen persönlichen Einsatz leistest du für die Korallen?
Als Gründer von Coralive bin ich derjenige, der die Projekte akquiriert und strategisch betreut. Am Anfang, als wir viel Zeit in die Entwicklung der Wirksamkeit verschiedener Technologien steckten, war ich in der Feldforschung aktiv. Inzwischen sind wir in der Umsetzungsphase und ich überlasse die wissenschaftliche Arbeit den Meeresbiologen. Meine Stärken sind Strategie, Finanzen, PR, IT und Networking. Mit diesem Knowhow liefere ich den grösseren Beitrag für die Korallenvermehrung. Ich bezeichne mich als denjenigen, der Wissenschaftler und Finanziers an einen Tisch bringt und die Sprachen beider versteht.
Alles, was ich bislang in meinem Leben gelernt und erfahren habe, kann ich in diesem Projekt einsetzen. Ironischerweise sind bei meiner Aufgabe im Naturschutz auch wieder Leistung und Zahlen wichtig. Um Investoren zu gewinnen, habe ich wieder mit der gleichen Personengruppe wie früher zu tun und führe mit ihnen die gleichen Gespräche über Anlagen. Letztendlich geht es immer ums Geld, aber die Motivation ist anders. Das ist der grosse Unterschied.
Früher war mein Anspruch, für Kunden so viel wie möglich Return on Investment zu generieren. Heute versuche ich, der Natur so viele Korallen wie möglich zurückzuführen. Da kann ich bei Aufträgen nicht nein sagen. Auch für gute Zwecke kann man ins Burnout geraten. (lacht)
Es ist gerade hipp, sich für das Thema Korallen zu engagieren und viele Firmen sonnen sich mit dem Image der Nachhaltigkeit. Für mich zählt nicht der Halo-Effekt, sondern die Ergebnisse. Und die zählen für die Natur.
Was willst du sonst noch sagen?
Jeder kann die Entscheidung treffen, wofür er oder sie sich engagiert.
Coralive ist eine Schweizer Umweltorganisation. Sie wurde 2016 von Ahmad Allahgholi (Aki) gegründet.
Die NGO setzt sich für den Schutz und die Wiederherstellung gesunder Ozeane auf der ganzen Welt ein. Wiederherstellung von Korallenriff- und Küstenökosystemen, Verwaltung von Meeresschutzgebieten, Durchführung langfristiger Umweltüberwachungen. Coralive arbeitet mit lokalen Interessenvertretern zusammen, von Basisorganisationen über den Privatsektor bis hin zu staatlichen Stellen, um gemeinsam langfristige Ergebnisse zu erreichen. Ziel ist, Wissen und Erfahrung weiterzugeben, um Gemeinschaften zu aktivieren und die
nächste Generation zu befähigen, in eine nachhaltige Zukunft zu investieren.
Im Bereich Korallenvermehrung werden, je nach Wirksamkeit, folgende Methoden eingesetz:
l Ablaichen und Aufzucht im Labor
l Mikrofragmentierte von Korallen und Korallenhaltung
l 3D-Druckanlage und Wetlab
Der Korallengärtner – Rettungsversuch für ein Riff | Reporter | SRF
Korallen – Zwischen Aussterben und Auferstehen I OCEANS #searchforhope I Folge 5
Soneva Foundation Coral Project Web