Perlentauchen im Persischen Golf
Die Spannung steigt, als sich das kleine offene Motorboot vom Hafen Ras Rayyah auf Muharraq, der drittgrößten Insel des Königreichs Bahrain, hinaus in den Persischen Golf bewegt. Ein paar Meilen sind es nur. Doch es geht hier nicht um die Distanz oder Strecke, sondern um den richtigen Platz und den muss man kennen. Mohamed Abdulla kennt sich aus, er weiß genau, wo sein Anker fallen soll. Das Boot schwojt hin und her, ein Blick in Richtung Grund, der Anker wieder auf. Die Stelle war noch nicht perfekt. Es geht doch noch ein bisschen weiter raus aus der Bucht in Richtung Nordost. Hochhaustürme kratzen am heißen, dunstigen Himmel. Bahrain, ein Wüstenland im Meer oder besser in zwei Meeren. Von „thnain Bahr“, was soviel wie zwei Seen oder zwei Meere bedeutet, leitet sich der Name des durch Landgewinnung inzwischen auf knapp 800 km² angewachsenen Landes im Persischen Golf ab. Doch an Bord interessiert das Land gerade nicht. Wir suchen den richtigen Meeresgrund.
Der Anker fällt erneut, ein klein wenig Fahrt nach achtern, er hält. Die richtige Stelle fürs Eintauchen ins Meer ist gefunden. Die Schatzsuche kann beginnen. Denn hier im Golf geht es nicht um den Badespaß, den genießt man eher direkt vom Strand aus oder in den Pools der Hotels. Hier geht es um das, was Bahrain einst reich gemacht hat: Die Perle.
Das Perlenfischen hat eine Jahrtausende alte Tradition im Persischen Golf oder etwas exakter: vor der Küste des kleinen Königreichs. Man ist stolz darauf, auf das Perlenfischen genauso wie auf die einzigartigen, wertvollen Perlen und teilt diesen Stolz nun auch mit den Touristen, lässt sie am großen Abenteuer der Perlenfischerei teilhaben – nicht nur im Museum, auf dem Perlenweg mit historischem Perlenfischerhaus oder mit alten Filmen und Dokumentationen, sondern live. Selber suchen ist erwünscht. Ein Erlebnis, das süchtig machen kann. Eine Schatzsuche zu Wasser, die mehr Spannung bietet als jeder skandinavischer Krimi.
Die Maske sitzt, der Schnorchel passt, was jetzt noch fehlt ist das Netz – das wichtigste Utensil für die Jagd nach der Perle. Doch auch das gibt es an Bord und wird jedem Hobby-Schatzsucher in die Hand gedrückt mit dem Hinweis, dass man ganz besonders darauf aufpassen solle, es könne im Meer ein gewisses Eigenleben entwickeln und leicht entschwinden – mit den Austern und so vielleicht auch mit einer noch nicht entdeckten Perle.
Ab ins Wasser, Luft holen, anhalten, Kopf nach unten, kräftig mit den Beinen schlagen und schon ist der sandige Meeresgrund erreicht. Nur rund zwei Meter ist es hier tief, ein Unterwasserplateau sorgt fürs Flach. Augen auf und Austern suchen. Nicht ganz leicht, denn man selbst und auch die Mitschnorchler wirbeln den Meeresgrund auf, es wird trüb. Die Muscheln haben sich schon lange ihrer Umgebung angepasst – beige an beige, wie soll man da die Auster finden. Ein bunter Fisch schwimmt vorbei und sorgt für etwas Farbe. Noch einmal auftauchen, Luft holen und schon geht es wieder hinab. Gerätetaucher haben es einfacher, sie haben ihre Luft dabei. Weiter draußen, dort wo es tief ist, wird die Perlensuche auch mit großem Gerät angeboten.
Jetzt klappt es besser mit der Orientierung – tasten, gucken, zupacken. Die erste Auster ist im Sack. Ob sie es schon ist, die einen Schatz verbirgt? Die nächste entwindet sich dem Griff und schwebt davon, dann gibt es gleich ein Dreierpack – ab in den Sack oder besser ins Netz. 60 Austern darf hier jeder sammeln, das ist erlaubt. Wie hoch die Chance ist, eine Perle zu finden? Höher als beim Samstags-Lotto? Jedenfalls macht die Glückssuche mehr Spaß als einfach nur ein Los zu ziehen oder im passenden Kästchen ein Kreuz zu machen. Auf und ab geht es, Luft holen, Luft anhalten im steten Wechsel. Zwischendurch werden die Netze hochgehalten. Wer hat die meisten? Auf dem ruhigen Meer treibt ein Rettungsring für den Fall aller Fälle – safety first.
Früher war das Perlentauchen gefährlicher. Die Perlentaucher blieben Monate auf See. Für das lebensnotwenige Süßwasser sorgte das Meer. „Thnain Bahr“ – Das Land mit den zwei Meeren. Süßwasser und Salzwasser. Nach der Mythologie der Sumerer deckte einst das salzige Meer das süße zu. So erklärten sie sich die Süßwasserquellen an Land und auf dem Meeresgrund. Diese machten das Perlentauchen über solch lange Zeiträume erst möglich. Das unterseeige Süßwasser wurde durch Lederschläuche hinauf in die Fischerboote geleitet. Gegessen wurde, was das Meer vorbeibrachte, zur Unterhaltung, damit es nicht zu langweilig wurde, sorgten Musiker, auch sie waren an Bord. Heute gibt es Musik via Bluetooth.
Die Perlensuche war hart. Lange mussten die Taucher unter Wasser bleiben. Schnell mal aufzutauchen, hätte zu viel Zeit gekostet. Angeleint blieben sie unten. Mit einem Ruck an der Leine signalisierten sie, dass man sie zurück an Bord ziehen solle. Steine an den Füßen reduzierten den Auftrieb, so wie heute Blei am Gürtel der Taucher. Die allerdings können während ihrer Tauchgänge in Ruhe weiteratmen.
So ein Gewicht, ob Stein oder Blei, wäre für uns Schnorchler aber auch nicht schlecht, zumindest ein ganz kleines. Denn im Persischen Golf gibt es besonders viel Auftrieb. Seine Salinität liegt bei etwa 4 Prozent, die Ostsee hat im Durchschnitt einen Salzgehalt von einem Prozent, der Atlantik bringt es auf 3,54 Prozent, das Mittelmeer auf 3,74 – man schmeckt es. Das rote Meer, quasi das Pendant des Persischen Golfs, schafft auch seine 4 Prozent. Schwimmen wird hier einfacher, Sich-Treiben-Lassen oder Floaten, wie es heute heißt, auch, aber tauchen, dem Auftrieb entgegen wirken…anstrengend wird es mit der Zeit, aber was tut man nicht alles für seine 60 Austern und die Chance auf eine Perle.
Die alten Taucher, die die meiste Zeit ihres Lebens auf See verbrachten, gibt es heute nicht mehr. Inzwischen wird eher semi-professionell nach Perlen gesucht. Und so warten die fünf Perlenhändler in Bahrain unentwegt auf Nachschub. „Wir brachen ja Perlen aller Farben und Größen, damit sie auch zusammenpassen“, erklärte Talal Ebrahim Mattar bei einem Besuch in seinem 1850 gegründeten Unternehmen seinen Bedarf und holte gleichzeitig ein rotes, prall gefülltes Samtsäckchen aus dem Tresor – rot ist die traditionelle Farbe für die Perlen. Schweigen machte sich breit, beim Anblick seines schimmernden Schatzes. Die Ehrfurcht war zu spüren. Einmal anfassen, einmal durch die Finger gleiten lassen, dem Hausherren würde es eine Ohnmacht bedeuten, der heimischen Versicherung einen lauten Aufschrei. Den Millionenschaden würde sie bestimmt nicht übernehmen. Dann die Ketten. An manchen fädeln schon Generationen, denn die Suche nach den zueinanderpassenden Perlen kann Jahre dauern. Mal müssen sie exakt gleichgroß sein, mal sich zur Schließe hin verjüngen, auf beiden Seiten natürlich genau entsprechend. Zwillingsperlen werden gesucht, von Generation zu Generation. Die müssen nicht nur heraufgetaucht, sondern auch mit dem richtigen Blick entdeckt werden. Wie perfekt muss das Aug sein! „Ich habe schon bei meinem Großvater zugesehen, wenn er die Perlen sortiert hat und auch mein Sohn schaut bei der Arbeit mir über di Schultern“, erzählt Mattar, der gemeinsam mit drei seiner Schwestern das Geschäft führt. Größe und Form der Perlen müssen also passen und dann auch noch die Farbe. Die Europäer bevorzugen die cremefarbenen, die Araber eher die weißen. Talal Mattar favorisiert die tropfenförmigen cremefarbenen mit einem leichten Regenbogenschimmer. Die seltensten seien aber die cremefarbenen mit einem leichten rötlichen Oberton. Welche Jaques Cartier, in den 1920er-Jahren Stammkunde der Mattar-Familie, gewählt hat, bleibt ein Geheiminis. Damals war auf alle Fälle die Auswahl noch groß – 30 000 Perlentaucher gab es in den frühen 1930er-Jahren.
Hinter manchen Ketten und Perlen stecken ganz besondere Geschichten. Jahrelang hatte zum Beispiel der Großvater an einer Kette gefädelt, die edelsten Perlen, die besten Farben, eine Ebenmäßigkeit, die ihresgleichen suchte. Dann verschwand das Kunstwerk eineinhalb Jahrzehnte als Anlageobjekt im Tresor, bis, ja bis Mattar sie in einer Ausstellung präsentierte – nur um die Kunstfertigkeit zu zeigen, nicht um sie zu verkaufen. Ein Foto wurde gemacht, der Königsfamilie zugeschickt und weg war die Kette. Wünsche darf man gekrönten Häuptern nicht abschlagen, Rechnungen stellen aber glücklicherweise schon. Die Kette ist weg und Mattar hat dazu gelernt. Den größten Schatz stellt er jetzt nichtmehr aus, weder präsentiert er das besondere Stück, dass jetzt im Tresor versteckt liegt, beim Bahrain Sea Festival noch sonst irgendwo auf der Welt.
Die passenden Perlen für die Ketten zu finden, an denen die Familie schon seit Jahrzehnten arbeitet wird übrigens immer schwieriger. Die Farbgebung verändern sich. Schuld ist der Plastikmüll im Meer. So werden die Farben immer kräftiger. Manche Perlen hätten nun einen Blaustich und das Rosa sei oft viel kräftiger als früher, schildert der Perlenhändler seine Erfahrungen der letzten Jahre. Plastik statt Perlmutt.
Auf sichtbares Plastik treffen wir beim Perlentauchen glücklicherweise nicht. Das Mehr schein sauber zu sein, zumindest für das bloße Auge. Und so gelangt eine Auster nach der anderen ins Netz. Dann geht es wieder zurück an Bord, das Soll ist erfüllt, die Höchstgrenze erreicht – die Spannung steigt.
Was wohl in den Muscheln steckt – Niete oder das große Los?
Das kurze, scharfe Messer fest in der Hand geht es den Austern an den Kragen, was die gar nicht so gut zu finden scheinen. Sie wehren sich, die Schale ist hart und pockig. Also ganz vorsichtig die Klinge ansetzen und mit Druck zur Seite ziehen. Das Messer lässt sich kaum bewegen, dann ein kleiner Ruck, wieder ansetzen, den nächsten Zentimeter in Angriff nehmen. Die erste sei die schwerste hat Mohammed Abdulla vorausgesagt. Hoffentlich, noch liegen jede Menge Austern im Netz. Übung macht bekanntlich den Meister, also weiter. Auster für Auster.
Die Perlenfischer, die heute noch tauchen, 100 Lizenzen hat das Königreich momentan vergeben, können die harten, kleinen Austern schneller knacken, auch wenn sie alle nur noch in ihrer Freizeit nach Perlen tauchen.
Auster um Auster geht es weiter, die Netze leeren sich und dann – endlich – ein leichtes Schimmern, ein ganz leichtes. Da ist sie, die erste Perle, ganz klein, ganz winzig und ganz allein erschnorchelt. Eine Erinnerung an das Königreich Bahrain und an seine lange Perlentradition. Eine Erinnerung, die bleibt, denn die Amateur-Perlenfischer dürfen ihre Beute mit Nachhause nehmen, während die Auster ihrer Perle beraubt unten im Meer weiterlebt und auf die nächsten Schatzsucher wartet.
T: Kirsten Panzer
F: Kirsten Panzer