Der Blick bleibt hängen und man ist leicht irritiert. Erinnerungen an Formen des Automobildesigns der Goldenen Jahre werden wach… aber was macht das Ding auf dem Wasser? Die Faszination eines Silberpfeils in schwimmender Form – wer macht denn so etwas?
Rendez-vous mit einem Bijou – die WAVE-Testreihe fürs neue Jahr fängt ja bestens an. Eingeladen hatte jemand, der weit über die Landesgrenzen für ungewöhnliche Boote und Yachten bekannt ist. Peter Minder sorgt mit seiner Firmengruppe aus Designboats, Heinrich Werft und Compositworks jedes Mal für Aufregung, wenn ein neues Baby die Werft verlässt. So auch der neuste Wurf aus Kreuzlingen: Chill heisst der rassige Flitzer, nach dem sich die Köpfe drehen. Negativer Steven, axtförmige Bugform und ein rundes Heck à la Porsche. Silbrig-glänzend glitzert er in der Wintersonne, jetzt müsste man nur noch den Schlüssel drehen und der V8-Motor startet gurgelnd mit einem satten Dröhnen. Überraschung: es dröhnt überhaupt nichts, denn der Flitzer flitzt elektrisch übers Wasser. Wir glitschen über die kleinen Wellen fast wie ein hüpfender Kieselstein. Dank der Kanuform des Unterwasserschiffs macht auch die Verdrängerfahrt keine Mühe, der drehbarer Elektro-Pod-Drive von Torqeedo ist mit 3.0 kW führerscheinfrei auf dem Bodensee.
Die Leichtigkeit des Seins
Da beim Chill das Hauptmerk auf Relaxen, Chillen und Geniessen liegt, reiht er sich in die Reihe der „Plaisirboote“ ein, mit denen der Wassersport um das 18. Jahrhundert begeisterte – übrigens auch damals schon mit Elektrobooten, man glaubt es kaum. Und da der Chill keine grossen Schubkräfte absorbieren muss, wurde er auf leicht getrimmt. Sein Rumpf ist eine im Prepreg-Verfahren hergestellte High Tech-Composite-Konstruktion aus hochwertigem Strukturschaum mit Decklaminaten aus glasfaserverstärktem Epoxydharz. Der Laminatplan wurde auf maximale Steifigkeit bei minimalem Gewicht ausgelegt. Tönt kompliziert, ist aber schön anzusehen. Passend zur fliessenden Rumpfform präsentiert sich auch das hohe Süllbord, bei dem man erst auf den zweiten Blick das Bimini-Gestänge entdeckt. Zuerst fällt der Blick auf das gefällige Cockpit, mit seinen zwei lederbezogenen Mahagoni-Sesseln (die sich drehen oder frei platzieren lassen) und den Bänken im gleichen Look sowie dem passenden Steuerrad in Roadster-Optik. Wer es mag, kann sich auch ein Vintage-Style’ Lenkrad (bspw. Jaguar e-Type 1967 o.ä.) einbauen lassen. Sechs Personen dürfen mitfahren, vier ist wohl die ideale Konfiguration, auch weil man da den Gewichtstrimm am besten bewerkstelligen kann. Die beiden Bänke lassen sich leicht in Sonnenliegen verwandeln – man zieht sie einfach aus dem Heckteil weiter raus und ergänzt sie mit den Stühlen. Wird der Apéro serviert, machen die kleineren Sitzkissen auf der Bank ein Stück Esthec frei – darin verstecken sich Magnete, die perfekt mit ihresgleichen im Trinkglasboden korrespondieren. Mit Esthec sind auch alle weiteren horizontalen Flächen (Deck, Boden, Sitze, Stufen, usw.) belegt. Selbst der Deckel der ausziehbaren Kühlbox trägt Esthec und signalisiert so seinen Einsatz als perfekte Trittstufe, wenn man aufs Vorschiff will. Die rahmenlose Windschutzscheibe kann man dergestalt leicht übersteigen. Fürs Ankermanöver begibt man sich lieber ans Heck und springt ins Nass – wer die Ankerleine am Stevenoesen befestigen will, macht das am besten vom Wasser aus. Zurück an Bord kommt man über die ausfahrbare Edelstahl-Badeleiter.
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