Der Phantom-Trimaran

Rätselhafte Geschehnisse gibt es auch in modernen Zeiten – selbst bei Regattan, wo jede Yacht mit einem Trackingsender ausgerüstet ist. Das Mysterium beginnt beim Rolex Middle Sea Race 2019. Eines der teilnehmenden Boote, der 60-Fuss-Trimaran “Ad Maiora” des italienischen Eigners Bruno Cardile, scheint sich in Luft aufgelöst zu haben, nachdem die Besatzung am 22. Oktober wegen eines defekten linken Schwimmers zum Aufgeben gezwungen war.

Eigentlich fing alles gut an. Der Trimaran Ad Maiora (ex Fleury Michon IX von Philippe Poupon) liefert sich nach dem Start des Mittelmeerklassikers ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit dem weitaus grösseren Monohull Rambler 88. Das Match Race der ungleichen Yachten führt weiter von Stromboli bis nach Favignana, nach dem Kurswechsel Richtung Süden nehmen beide das Teilstück nach Lampedusa und Pantelleria in Angriff. Es folgt ein sehr schneller Amwindkurs mit Spitzen von 18 Knoten. Ad Maiora segelt in Staysail-Konfiguration mit einem Reff im Gross. Die fünf Besatzungsmitglieder sind permanent mit Trimmen beschäftigt und sehen sich einer stetig anwachsenden und kurzen Welle ausgesetzt, die nach dem Runden  von Pantelleria Richtung Lampedusa 2,5 Meter erreicht.

Kurz vor der Laylinie nach Pantelleria entdeckt die Besatzung auf der Höhe der Wanten einen vertikalen Riss am Backbordrumpf. Skipper Bruno Cardile ordnet sofort eine Wende an, um die Backbordtakelage und den Schwimmer zu entlasten. 30 Minuten nach dieser Wende hat sich der Schaden am Rumpf so vergrössert, das die Sicherheit der Besatzung nicht mehr gewährleistet ist. Ausserdem kündigt sich eine schnelle Wetterverschlechterung an. Es war klar, dass es nicht mehr möglich war, ohne grosses Risiko für alle zu navigieren. Auf Ad Maiora beschloss man daher, sich aus dem Rennen zurückzuziehen.

MAYDAY

Es ist immer ein schwieriger Moment, aber am 22. Oktober aktiviert der Skipper das DSC und setzt einen Mayday-Notruf ab. Dieser wird von der Küstenwache von Lampedusa empfangen, die ihr Schiff CP 319 bereits auf See im Einsatz hat. Bis zum Eintreffen der Rettungskräfte werden die Segel geborgen und die Crew packt ihre wasserdichten Taschen mit den persönlichen Gegenständen, PC, Telefon, PLB usw. und bereitet für alle Fälle die Rettungsinsel vor. Als die Rettungseinheit Ad Maiora erreicht, wird nach einem kurzen Funkgespräch die Art und Weise der Abbergung besprochen. Einer nach dem anderen verlässt den Trimaran, als letzter geht Skipper Bruno Cardile von Bord. Der Trimaran treibt alleine weiter, der Race Tracker an Bord ist aktiv. Skipper Cardile ist zuversichtlich, bei ruhigem Wetter seinen Trimaran wieder orten und nach Lampedusa schleppen zu können.

DAS MYSTERIUM

So verfolgt die Crew an Land den beschädigten Trimaran über den Satellitentracker Yellow Brick. Ad Maiora macht ohne Segel immer noch 7 Knoten Fahrt. Cardile’s Sorge, der Mast könnte bei der hohen See runterkommen, scheint unbegründet. Aufgrund der Wettersituation müsste Ad Maiora Richtung Gozo und Malta treiben. Doch nach einem unerklärlichen Stopp verändert sich der Schlingerkurs auf dem Tracking in eine schnurgerade Linie, Ad Maiora ist jetzt sogar mit 8 Knoten unterwegs und macht seltsame Kurswechsel. Cardiles Bedenken werden zur Gewissheit, als der rote Knopf am Sender mehrmals gedrückt wird. Will da jemand den Tracker deaktivieren? Fakt ist: das ist die Alarmtaste. Nach einigen Minuten setzt die Übertragung aus. Eine mögliche Erklärung:  jemand hat wahrscheinlich versucht, den Yellow Brick Sender abzustellen. Als er merkte, dass er das nicht konnte, warf er ihn über Bord oder versteckte ihn unter Deck. Im Moment des Verschwindens des Signals hatte der Sender immer noch 57 % Batterieleistung, so dass es auch unmöglich ist, dass er plötzlich keine Energie mehr hatte.

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