Die Ostsee kann auch tückisch sein. Vor allem in den Meerengen rund um Fünen – also genau dort, wo seit 2012 jedes Jahr im Herbst das schon jetzt legendäre Silverrudder Rennen stattfindet: Einhand und nonstop einmal um die zweitgrösste Insel Dänemarks (Grönland nicht mitgerechnet) segeln. Unter den ganz wenigen Schweizer Teilnehmern auch Michael Tobler (Sailing-Coach und Inhaber der Saphire Segelschule), der noch eine alte Rechnung offen hatte…
Bis zu 450 ganz unterschiedliche Boote nehmen an der Silverrudder teil. Die Schnellen schaffen die 134 Seemeilen lange Strecke in gut 14 Stunden (Rekordhalter Jan Andersen mit seiner One-Off Marlin 33 in 14:08.53) während ebenfalls mitsegelnde Fahrtenyachten dafür auch schon mal mehr als volle zwei Tage benötigen. Natürlich auch immer abhängig von Wind und Wetter, aber nicht nur. Genaue Kenntnisse der lokalen Verhältnisse ist in jedem Fall ein sehr grosses Plus. Denn wer in den engen Gewässern des Svendbord Sund oder bei Fredericia die Strömung falsch erwischt, kann auch schon mal rückwärts segeln…
Erfunden hat das Event Morten Brandt Rasmussen, früherer Chefredaktor der dänischen Segelzeitschrift Bådnyt. Seine Idee: Eine Art maritimen Marathonlauf im Herbst zu starten, als krönenden Abschluss der sommerlichen Segelsaison. Damals, 2012, kreuzten 15 Boote an der Startlinie auf, ein Jahr später waren es schon fast 100. Das Konzept, einfach von der Idee, aber für alle Teilnehmenden sehr anspruchsvoll in der Umsetzung, kommt unter Seglern unglaublich gut an und ein Ende der Begeisterung ist nicht abzusehen. Seit kurzem ist die Teilnehmerzahl auf maximal 450 Yachten begrenzt, das Kontingent ist bereits wenige Stunden nach Eröffnung der Online-Meldeliste ausgeschöpft. Natürlich sind es schon lange nicht mehr nur noch Dänen, die sich dieser Einhand-Herausforderung stellen, sehr viele Yachten kommen aus anderen skandinavischen Ländern, aus Deutschland – und aus der Schweiz.
In diesem Jahr waren es gleich drei Schweizer Yachten: „Es gibt sie also noch, die Schweizer Abenteurer“, wie einer der drei, Michael Tobler, sagte. Er bereitete sich auf das diesjährige Silverrudder-Rennen sorgfältig vor und nutzte sogar eine andere Veranstaltung in Dänemark, das längere Vegvisir Race von Nyborg, als Trainingsregatta aus, um sich mit Strömungen und hohen Wellen vertraut zu machen. Doch damit nicht genug: Er verbrachte zudem einige Tage und Nächte in den notorisch schwierigen Stellen im Svendborg Sund und weiter im Norden bei Middelfart, um die Untiefen und die heftigen Strömungen kennenzulernen: „Daran scheiterte ich 2017“, sagte er. „Dieses Mal möchte ich gerne ins Ziel kommen!“
Jürg Weber segelte mit seiner Seascape 27. Nicht nur Silverrudder sondern zuvor bereits das Round Denmark Race, ebenfalls solo. Allerdings musste er dieses leider wegen Ausfall des Autopiloten und Sturmwinden auf der zweiten Etappe aufgeben. Und schliesslich, als Dritter im Bunde, startete auch noch Jens Thuesen mit einer neuen Dragonfly 40 unter Schweizer Flagge zum Silverrudder.
The Ironman of the Sea
An der Silverrudder geht es vor allem um das Dabeisein und Ankommen. Ein ganz besonderes Erlebnis ist es ja in jedem Fall, und noch dazu wirklich kein einfaches. Die Alleinsegler bekommen kaum eine Ruhepause, der Wind kann in diesem Revier in Landnähe sehr böig und wechselhaft sein. Das Teilnehmerfeld ist riesig und es sind immer viele Schiffe dicht beieinander. Hinzu kommen die Untiefen und das häufig doch recht nahe Ufer: Für Manöver bleibt also nicht viel Zeit, und wer nicht aufpasst, ist unter Umständen sofort aufgelaufen. Und dies alles, je nach sportlichem Ehrgeiz, unter mehr oder weniger harten Regattabedingungen…
Die richtige Balance zu finden zwischen Geschwindigkeit auf der einen und Sicher- heit auf der anderen Seite ist hier, wie ja eigentlich bei allen Solorennen, sicher ein ganz grosser Schlüssel zum Erfolg.
Die einfachen Regeln sind da sicher eine Hilfe. Es gibt keine Vermessungen oder Vergütungen, die Boote werden nach ihrer Länge in verschiedene Gruppen eingeteilt, ausserdem in Mono- oder Multihulls. Innerhalb dieser Gruppen gibt es oft mehrere Schiffe des gleichen Typs, die dann ihre „Privatrennen“ untereinander austragen. Und für jede Gruppe gibt es einen Wanderpreis. Die schnellste Yacht behält diesen Preis, bis die von ihr gesegelte Zeit während einer der nächsten Ausgaben des Rennens unterboten wird.
Erlebnisbericht von Michael Tobler
STRATEGISCH STATT TAKTISCH
«Das Silverrudder wurde seit 2017 enorm professionalisiert. Die Organisation um Philipp Cossen könnte besser gar nicht sein. Rund 100 Helfer sind Tag- und Nacht im Einsatz und für die Segler da. Man wird sehr freundlich empfangen und begleitet, es fehlt an nichts. The «Ironman of the Sea» hat seinen Namen verdient. Die wahren Helden sind nicht die Sieger, die in weniger als 20 Std. die Ziellinie kreuzen, sondern die vielen Segler und Seglerinnen, die über 50 Stunden durchhalten und auch nach der zweiten Nacht noch bei fast Flaute stundenlang gegen die Strömung im Svendborg Sund ankämpfen, um die Ziellinie zu kreuzen. So z.B. die 25jährige Kajsa Wikmann aus Schweden, die sich für EUR 7000 einen Spaekhugger gekauft und für das Silverrudder trainiert hatte. Nach 50 Stunden kreuzte sie die Ziellinie mit Tränen in den Augen.
Und so gibt es viele, die mit langsamen Booten, wie z.B. Folkeboote ohne Spinnaker bis zu 11 Stunden in Middelfart ausharren, bis sie mit der Strömung und etwas Wind durch den Kanal kommen. Ich habe grössten Respekt vor allen, die daran teilnehmen – darunter ganz viele Frauen! Der Groove ist unbeschreiblich. Es geht nicht ums Gewinnen, sondern ums Durchkommen. Offenbar suchen die Menschen die letzte Herausforderung auf dem Wasser.
Die Schwierigkeiten liegen im Lillebelt bei Middlefart und im Svendborg Sund. In NO ist es v.a. die Strömung und der flaue Wind im Talkessel unter den hohen Brücken. Selbst wenn draussen 15kn Wind wehen, ist in Middlefart oft Flaute und bis zu 3kn (Gegen-)Strömung. Es kann dann schon sein, dass Boote bis zu 10 Stunden ankern, um den richtigen Moment zur Durchfahrt zu finden. Dieses Jahr gabe es Gruppen von 30-40 Booten, die alle zusammen vor Anker lagen und lauerten, bis der Wind oder die Strömung kippten. Da wird kaum gesprochen, jeder will weg – eine Ambiance wie in einer Geisterstadt – an Schlaf ist kaum zu denken.
Im Svendborg Sund sind es die teilweise sehr engen Passagen, überall Untiefen und oben drauf noch die Strömung. 2017 bin ich als erstes Einrumpfboot und als drittes Boot insgesamt im Svendborg Sund gescheitert. Die Strömung löste eine Panik- attacke aus, weil ich das nicht kannte und so wich ich auf den Motor aus, um mich zu retten, anstatt zu ankern und abzuwarten. Dieses Mal sah es etwas anders aus… deshalb auch die umfangreichen Vorbereitungen. Man kann nicht einfach nur mal hinfahren und hoffen, dass alles gut kommt.
Zu meinem persönlichen Rennen: ich hatte mich drei Wochen lang vorbereitet und im Norden Jens Quorning der Dragonfly-Werft getroffen, der mir die Strömungsverhältnisse bei Middelfart erklärte. Danach passierte ich mehrere Male gegen die Strömung bei Leichtwind, bis ich wusste wie! Im Svenborg Sund bin ich alle Passagen mit hochgezogenem Kiel abgefahren und habe Einheimische gefragt, wo die Schleichwege sind – die gibt es tatsächlich. Diese sind nicht auf der Karte eingezeichnet, werden aber von den Locals genutzt. So sagte mir ein alter Seebär auf der Mole: Fahre von diesem Punkt auf der Mole 0.5 nm genau Richtung Kirche und dann hast du 1.80 Meter Tiefgang bei Niedrigstand! Die Ebbbe/Flut macht rund 20-30 cm, zuzüglich die Veränderungen durch den Wind im Kattegat, wenn die Wassermassen durch den Kanal gedrückt oder gesogen werden.
Der Start mit 80 Booten in der Klasse Keelboat Small ist eine riesige Herausforderung, gegen den Wind aufkreuzen, in einem schmalen Kanal mit Untiefen. Leider passierte mir ein Anfängerfehler (die Fockschot war nicht richtig eingefädelt), sodass ich mich nach einem Superstart sofort wieder zurückbegeben musste, um das Problem zu lösen. Nach dem zweiten Versuch lag ich im Mittelfeld, wurde dann aber von einer X-79 am Wenden gehindert und bin aufgelaufen. Da war einfach zu wenig Platz und im hinteren Feld sind die Segler z.T. kamikazehaft unterwegs… So kam ich erst als 44. Boot bei Thuro Rev an den Wendepunkt. Ich zog den Reacher und wechselte später auf den grossen Gennaker, und oben bei Baesbanke war ich bereits das 21. Boot in meiner Klasse, dank einem tollen Ritt mit 10-12kn Wind aus SO und 1.5kn Strömung von hinten. So schaffte ich die Distanz in Rekordzeit. Auf dem Reachingkurs hatte ich dann mit dem zu grossen Gennaker einige Stunden bis nach Aeblo zu kämpfen. Ich hätte vorher handeln sollen, aber ein Wechsel auf dem Reachingkurs kostet zu viel Zeit. Da meine Windfahne ausgestiegen war, konnte ich den Autopiloten nicht nutzen und so fuhr ich das ganze Rennen an der Pinne und die Gennakerschot aus der Hand. Muskelkrämpfe machten sich bemerkbar, aber dafür konnte ich die Welle gut aussegeln, schliesslich musste ich aufholen!
Eingangs Fredericia entschied ich mich für die Fünenseite und kam dann mit meinen Code 0 perfekt bis zur grossen Brücke, anfangs mit Wind von hinten, dann von vorne. Ich entschied strategisch und nicht taktisch zu segeln und keine Segelwechsel zu machen, sondern mich total auf die Flexibilität und den Kurs zu konzentrieren. Ich schlich ganz nah am rechten Landufer entlang, um möglichst wenig Strömung zu begegnen. Diese lag bei rund 1.5kn, aber bei fast null Wind nach der grossen Brücke bis nach Faeno ist es nicht ganz leicht, zu passieren. Die zweite, alte Brücke passierte ich ebenfalls ganz rechts, wobei zu meinem Erstaunen alle anderen Boote ganz links fuhren und so bei SO-Wind in die Abdeckung durch die Insel Fünen gelangten. Ich blieb bis zum Ausgang des Kanals auf der rechten Seite und kreuzte dann mit dem Code 0 Richtung Faeno, wo ich bereits auf Platz Nr. 8 meiner Kategorie lag. Das Training und die Gespräche mit Jens hatten sich also gelohnt und zahlten sich jetzt aus!
Dank meiner Entscheidung, den Code 0 zu nutzen und keine Segelwechsel zu machen, konnte ich alle Kurse inkl. Schmetterling und Kreuzkurs mit dem gleichen Segel abdecken und so meine Geschwindigkeit gegen die Strömung immer halten. Ich war eines der letzten Boote, die einen Windhauch mitnehmen konnten und an Faeno vorbeisegelten, bevor die Flaute alle Boote im Kanal für mehrere Stunden gefangen hielt und diese von der Strömung – falls nicht geankert – immer wieder zurückgetrieben wurden.
Letztendlich erreichte ich den 7. Schlussrang in der Kategorie Keelboat Small und war überglücklich über den Verlauf bei all dem Missgeschick am Start. Die lange Kreuz von Faeno bis zum Svendborg Sund in der Nacht war aber schon sehr anstrengend. Müdigkeit, Leermond, klarer Sternenhimmel mit gefühlt einer Million Sternen, 10-13kn Wind, grosse Welle und fluoreszierendes Wasser hinter dem Boot lassen einen in Trance fallen, die schöner nicht sein könnte. Man wird eins mit Welle, Wind, Wasser, Sternen und dem Boot. Was für ein Erlebnis – und das über Stun- den! Man kann die Landmassen bei der Dunkelheit nicht erkennen, sondern nur die Lichter. Jedoch ist es kaum möglich, Distanzen abzuschätzen und man verlässt sich total auf die Navigationsapp und sein eigenes Gefühl – ausgeliefert auf dem Meer – keine Ahnung, ob irgendwo ein Gegenstand im Wasser treibt, man kreuzt bei Gischt und mit Flug-und Spritzwasser über dem Bug und die Fock durch die Nacht.
Gegen Morgen verlassen einen dann die Kräfte. Die Wenden werden schwieriger. Man stolpert über die Pinne oder die eigenen Füsse und fällt auch einfach mal hin. Alles geht nur noch langsam und anstrengend, aber das Ziel liegt vor Augen! Der Sonnenaufgang bringt dann etwas Wärme und Lebenskraft zurück, aber der Körper ist müde und schmerzt an vielen Stellen. Nur nicht aufgeben, sondern durchziehen bis zum Ende! Ich konnte dann mit Rückenströmung in Svendborg nach über 26 Std. einlaufen und war so etwas von glücklich, dass ich alles vergass, was mich vorher noch belastete.»
Die Silverrudder-Challenge
Silverrudder™ – Challenge of the Sea – ist eine jährliche Einhand-Segelregatta mit Start und Ziel in Svendborg, die rund um die Insel Fünen in Dänemark ausgetragen wird. Die kürzeste Strecke beträgt 134 Seemeilen. Das Rennen hat sehr einfache Regeln und es gibt keine obligatorischen Seezeichen vom Start bis zum Ziel. Im Jahr 2012 wurde das Rennen ins Leben gerufen und zog 15 harte, innovative Segler an. Im Jahr 2013 meldeten sich 100 Teilnehmer an, darunter Segler aus Schweden, Deutschland, der Schweiz, Slowenien und Dänemark. Die Silverrudder Challenge 2013 war die grösste internationale Einhandregatta der Welt, aber diese Zahl wurde 2014 verdoppelt, als mehr als 200 Teilnehmer am Start waren. Im Jahr 2019 war die Regatta innerhalb von 40 Minuten ausverkauft, 450 Boote hatten sich in Rekordzeit angemeldet. In den vergangenen Jahren waren alle 450 Startplätze innerhalb weniger Stunden ausverkauft.
Die Schweizer Silverrudder-Resultate 2023
Kat. Small Keelboat
7. Michael Tobler Saphire 27 Viento SUI 41
13. Jürg Weber Seascape First 27 Moana SUI 24
Kat. Multihull
5. Jens Thuesen Dragonfly 40 Flying Dragon DEN 40009
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