Der Begriff “Boutique-Werft” bezieht sich häufig auf die Möglichkeiten, die den Kunden für ihr zukünftiges Boot geboten werden. Im Fall der Werft Ice Yachts können wir das nicht besser definieren: Wir konnten uns persönlich im Gespräch mit dem Eigner der Testyacht, davon überzeugen, wie sehr sich die Werftbesitzer persönlich nicht nur um die Wunschliste in der Entwurfsphase kümmern, sondern dann dem Kunden auch die besten Lösungen für die vielen, manchmal sehr kleinen Bedürfnisse anzubieten, die nach der Auslieferung der Yacht auftauchen.
Protagonisten dieses Boutique-Konzeptes sind Marco Malgara und Maria Ingrid Torres, CEO bzw. Präsidentin von Ice Yachts, die im Privatleben verheiratet sind und sich entschieden haben, ihre Komplementarität auch auf den beruflichen Bereich zu übertragen. “Ich übe meinen Beruf als Chirurg aus”, erklärt Dr. Torres, “aber ich finde die Zeit, meinen weiblichen Beitrag zu Marcos Fachwissen zu leisten, das eher auf die Forschung und Entwicklung neuer technologischer Lösungen ausgerichtet ist, um den Kunden immer leistungsfähigere und zuverlässigere Boote anzubieten.“
Mit diesem Wissen gingen wir an Bord der Bandido, der zweiten Ice Yachts 70, der ersten in der “RS”-Version, die nicht für einen Raised Salon steht, wie wir anfangs dachten, sondern für Racing Sport, eine der vielen Referenzen dieser Yacht an die Welt des Motorsports. Dieses Yachtmodell wurde 2021 auf der Bootsmesse in Cannes vorgestellt und war sofort ein Erfolg. Bis heute wurden 4 Exemplare verkauft (zwei bereits gewassert und zwei im Bau), während der Verkauf von zwei weiteren Exemplaren gerade abgeschlossen wird. „Es ist interessant zu sehen, dass die Kunden von Ice Yachts meist Ausländer sind, die einen grosse Vorliebe für das Made in Italy mitbringen und durch Mund-zu-Mund-Werbung zu uns kommen, was auch die Zufriedenheit und Wertschätzung für die bisher gebauten Yachten zeigt.“
Test the Best
Normalerweise haben wir während unserer Erprobungen die Gelegenheit, das Boot am Liegeplatz zu besichtigen, es aussen und innen im Detail zu analysieren und dann auf See zu gehen. In diesem Testfall war es genau das Gegenteil: Der Termin war für einen Hochsommertag in der Marina di Varazze in Westligurien angesetzt. Als wir die Aurelia-Uferstrasse entlangfuhren, konnten wir von einem Aussichtspunkt aus einen Blick auf die imposante Yacht unter Segel erhaschen. Anschliessend wurden wir mit einem Schlauchboot zur Yacht gebracht und konnten die Eleganz der vom Studio Felci Yacht Design entworfenen Linien aus nächster Nähe betrachten. Die Beobachtung, wie sich ein Boot im Wasser bewegt, sagt schon viel über die konstruktive Qualität einer Yacht aus. So wurde beispielsweise die ruhige Fahrt über eine kurze, unangenehme Welle von fast einem Meter durch den absoluten Komfort unter Deck bestätigt, sobald unser Test begann. Die Rumpfform ist die jüngste Entwicklung der sorgfältigen strömungsdynamischen Studien, die das Studio Felci durchgeführt hat, um das beste Gleichgewicht zwischen Formstabilität und kleinster benetzter Oberfläche bei verschiedenen Geschwindigkeiten zu finden. Mit dem ehrgeizigen Ziel, die Leistung zu verbessern, ohne das Innenvolumen und den Platz an Deck zu opfern.
An Bord
Schon beim Betreten des Schiffes fällt die Klarheit des Deckslayouts auf, das nüchtern und geradlinig gestaltet ist und in dem das laufende Gut verdeckt läuft, sowie die grosszügigen Platzverhältnisse sowohl im Cockpit als auch an Deck. So bleiben selbst die Durchgänge zum Vorschiff bei gleichzeitig üppigen Liegeflächen immer noch breit für ungehindertes Bewegen an Bord. Die metallgraue Farbe des Rumpfes – ein raffinierter Farbton aus der Automobilbranche, der auch für die Schanzkleider und das Deckshaus verwendet wird – trägt zur grossen formalen Eleganz bei. Auch die Form der Rudersäulen ist hervorragend gelöst. Die Notwendigkeit, die moderne Menge an Instrumenten und Steuerungen unterbringen zu können, führt oft zu Designs, die manchmal schwer und ästhetisch fragwürdig wirken. In diesem Fall hingegen spiegeln die Form und die graue Farbe das Deckshaus wider und verleihen dem Ganzen eine formale Kohärenz.
Im Cockpit befindet sich ein gelungener Tisch mit Klapptüren und einem Karbonboden, in dem die Rettungsinsel untergebracht ist.
Das grosse Achtervolumen ermöglicht eine sehr geräumige Heckgarage, die sowohl durch den umklappbaren Heckspiegel als auch durch eine bündig mit dem Deck abschließende Luke zugänglich ist. Die Hauptfunktion ist die Unterbringung eines bis zu 4,20 Meter langen Beibootes. Dieses wird mit einem speziellen Karbonkran, einem Werftpatent, der auf dem Cockpit montiert ist, gewassert. Rumpf und Deck bestehen aus Glas- und Kohlefaserverbundwerkstoffen, einer Mischung, die speziell für die Werft Ice Yachts hergestellt wird. Die Laminierung erfolgt in einer Matrize, in der auch die Strukturelemente laminiert werden, das Harz wird unter Vakuum eingepresst.
Der durchgehende Mast und der Baum bestehen aus Axxon-Carbon, der Teleskopkiel mit Cariboni-Hydraulik wurde von Galetti realisiert und hat eine beeindruckende Länge von 4,50 Metern, die sich auf 2,80 Meter reduziert, wenn der numerisch gesteuerte und gefräste Kiel eingefahren wird, was dann den Zugang zu den meisten Häfen erlaubt. Die grössere Tiefe des Kiels ermöglicht sowohl einen grösseren Widerstand gegen die Abdrift als auch vor allem die Beibehaltung des Aufrichtmoments bei geringerem Gewicht des Kieltorpedos. Zusammen mit anderen gewichtssparenden Lösungen verdrängt die Ice 70 RS rund 30 Tonnen, das sind etwa 10 Tonnen weniger als ein 70-Fuss-Cruiser durchschnittlich wiegt.
Unter Segel
Am Steuer bestätigt das erste Gefühl, was wir von der Jolle kennen: Das Boot ist wendig und reagiert mit der Agilität und Gescwindigkeit eines 50-Fuss-Bootes. Während man gleichzeitig das angenehme Gefühl hat, etwas Kraftvolles in den Händen zu haben, das man aber immer unter Kontrolle hat. Sobald die Segel gesetzt sind, wird das Ruder ausbalanciert, und die Ice 70 setzt ihren Kurs fort, ohne dass besondere Korrekturen erforderlich sind. Wir segelten mit einer Brise von etwa 12 Knoten, das Boot legte sich mit einem scheinbaren Winkel von 35° in den Wind und erreichte eine sehr gute Geschwindigkeit von 9,6 Knoten, die sich noch steigerte, als wir auf die Querrinne zufuhren. Die Steuerung war stets reaktionsschnell und reibungslos, die Kurven leicht zu kontrollieren. Mit den elektrischen Winschknöpfen auf der Steuerhausplattform können die Segel getrimmt werden, aber um sie herabzulassen, ist die Hilfe eines Besatzungsmitglieds erforderlich, während der Grosssegelschlitten vom Steuermann unabhängig bedient werden kann.
Vor unserem Test kamen Journalistenkollegen vor uns in den Genuss einer morgendlichen Tramontana von etwa 20 Knoten, bei der die Ice 70 RS mit einem grossen Gennaker von fast 400 Quadratmetern, der mit einer Socke ausgestattet ist, ruhig und sicher mit 11 Knoten dahinrauschte und in Böen bis zu 13 Knoten erreichte.
Um zurück in den Hafen zu kommen, haben wir natürlich den Motor angeworfen, einen 195 PS starken Yanmar. Dank der Schalldämmung des Maschinenraums ist er sehr leise und ermöglicht mit 2800 U/min eine Geschwindigkeit von 10 Knoten, während die empfohlene Reisegeschwindigkeit bei 2000 U/min liegt. Als Variante wird auch eine 230 PS-starke Version angeboten.
Design auch unter Deck
Sobald wir von der See an Bord kamen, gingen wir unter Deck, um unsere Tasche zu verstauen. Wie bereits zu Beginn unseres Tests erwähnt, herrschte ein steiler Wellengang, der jedoch unter Deck keinerlei Unannehmlichkeiten verursachte: Die Ice 70 RS segelt reibungslos unter Segel mit leichtem Pitch und ohne Trägheit. Vor allem hörte man nur das Plätschern des Wassers auf dem Rumpf, eine echte Musik. Kein Knarren, dank der Sorgfalt, mit der die Rumpfstrukturen und das Deck auf den Rumpf laminiert wurden. Aus ästhetischer Sicht herrscht ein Gefühl von Raum und großer Helligkeit vor, was sicherlich auf die gebleichte Buche der Innenräume und die Fenster an den Seiten des Deckshauses und an der Seite zurückzuführen ist, aber auch auf die Entscheidungen des Eigners, der ein Architekt mit sehr klaren Vorstellungen ist. Das Design und die handwerkliche Fähigkeit, seine Wünsche in die Realität umzusetzen, führt direkt zu der bereits erwähnten Definition einer Boutique-Werft. An Steuerbord befindet sich ein Esstisch mit einem L-förmigen Sofa, an Backbord ist ein sehr grosser Raum, in dem zwei Poltrona Frau Designersessel mit einem speziellen System verankert werden können, wenn man unterwegs sind.
Das Design-Erlebnis führte zu Recht zur Anbringung zahlreicher Handläufe, die geschickt mit Leder gepolstert sind und notwendig sind, um sich in einem so großen Raum ohne andere Stützpunkte zu bewegen. Auf der linken Seite des Bugs befindet sich die Karten- und Navigationsstation mit ihrem Multifunktionsmonitor, dann der Raum für drei Kühlaggregate und eine Eismaschine. Gegenüber, genau mittschiffs, trennt eine Art Wand den Raum mit der Kombüse. Dies ist die elegante Lösung, die für den einziehbaren, inspizierbaren Kielkasten konzipiert wurde. Von hier aus hat man Zugang zur Küche, die vollständig und nüchtern zugleich ist und von der aus man die Speisen leicht an die Gäste weitergeben kann. Der durchgehende Mast ist in der Wand zwischen der Dinette und der Eignerkabine versteckt und kann durch Öffnen einer Tür leicht inspiziert werden. Der Eigner hat für sich selbst eine Kabine vor dem Mast reserviert, mit einem Doppelbett an der Steuerbordseite, während links ein Arbeitszimmer eingerichtet wurde. Im Bug befindet sich das Bad für den Eigner mit einer separaten Duschkabine, während die Mannschaftskabine mit zwei übereinander liegenden Kojen im äußersten Bug liegt und vom Deck aus zugänglich ist. Achtern befinden sich die klassischen Zweibettkabinen, die Platz für vier Gäste bieten.
Da die Bandido im Golf von Mexiko und in der Karibik gesegelt wird, ist sie nicht nur mit einer sehr effizienten Klimaanlage ausgestattet, sondern auch mit einer dualen Stromversorgung, die sowohl dem europäischen 220-Volt- als auch dem amerikanischen 110-Volt-Standard entspricht. Einer der vielen kleinen Wünsche, für die die Werft Ice Yachts eine Lösung gefunden hat.
T: Giuliano Luzzatto
F: Werft/ Giuliano Luzzatto
Aus dem Italienischen von Stefan Detjen