Provenve, Côte du Var und d’Azur – man kennt es, oder vielmehr: man scheint es zu kennen. Und doch ist es jedes Mal wieder eine neue Entdeckung.
Frühes Ablegen im Stadthafen von Marseille. Ein sonniger Sonntagmorgen kündigt sich an, die Stadt selbst schlummert noch. Es hat etwas Magisches an sich, wenn man eine erwachende Hafenstadt verlässt. Unsere Lagoon 40 schiebt sich leise an der alten Capitainerie mit ihrem markanten Turm vorbei aufs offene Meer. Keine halbe Stunde später hat sich die Szenerie komplett verändert. Man schaut auf karge, sonnenverbrannte Inselchen. Und wenn man nicht wüsste, dass man eine quirlige Stadt im Rücken hat, käme man sich sehr einsam vor. Wieder ein paar Seemeilen später öffnet sich die erste Calanque und man ist in einer anderen Welt. Noch sind die Bojen für das Naturschutzgebiet nicht ausgelegt, also darf man weiterhin ankern. Wir wollen auch die nächsten Calanque erkunden und fahren neugierig weiter. In der Mittagshitze gibt es einen ersten Badestopp, das Meer ist ruhig, die Brise lässt auf sich warten. Nach Cassis ändern sich Form und Farbe der Landschaft, von weiss zu dunkelrot-braun. Nachdem auch die 3. Calanque ähnlich aussieht, entschliessen wir uns zu einer Programmänderung. Anstatt der Küste entlang zu schleichen, nehmen wir ab Cap Sicie direktKurs auf Porquerolles. Das Inselchen ist eine unserer Lieblingsorte, also nichts wie hin.
Vor dem Plage d’Argent fällt abends der Anker. So haben wir es uns vorgestellt. Die Bucht ist ziemlich voll, aber es ist Juli und Wochenende. Am nächsten Morgen wollen wir uns verholen, doch der Anker kommt nicht hoch. Beim Tauchen im glaskaren Wasser ist der Grund ersichtlich: das Eisen steckt unter einem armdicken Leitungsrohr. Also nochmals tief Luft holen, abrauchen und befreien. Der Rest des Tages wird im wahrsten Sinne des Wortes blau gemacht, schwimmen, schnorcheln, herumpaddeln mit dem SUP-Board. Abends dann fahren wir zum Hafen, es gibt einen Platz an der Aussenmole. Beim Nachtessen auf der Place d’Armes kommen alte Erinnerungen hoch. Eigentlich hat sich nicht viel verändert. Die Cigales machen noch immer einen herrlichen Lärm, auf dem Platz wird Pétanque gespielt, ein par Hunde hängen cool herum, der Pfarrer kommt aus der Kirche, die Menschen um uns herum sind entspannt und zufrieden. Summertime, and the livin’ is easy…
Denn nächsten Tag verbringen wird mit Brummeln und Inselerkundung. Noch vor den Tagestouristen satteln wir die Velos und fahren unter den schattigen Pinienaleen kreuz und quer über das paradiesische Inselchen, das einst Monsieur Fournier seiner Gattin als Hochzeitsgeschenk überreichte. Es entstand eine idealisierte Mini-Welt, die sich ihren Charme bis heute erhalten hat. Abends im L’Escale erfahren wir, dass der letzte Inselgeborene an dieser Bar sein Leben ausgehaucht hat. Aber wir leben noch und ordern noch eine Flasche des kühlen Rosés, der Domaine de l’Île. Das Weingut gehört heute nicht mehr der Familie Fournier, sondern ist im Besitz der Chanel-Gruppe. Tant pis…
La belle vie gefällt uns, heute steht St. Tropez auf dem Plan. Oder wenigstens die Strände bei Pampleonne. Nach einer ruhigen Navigation fällt der Anker zwischen Tiki Plage und dem kultigen Club 55. Als wir uns gegen Abend fein machen wollen, sehen wir, dass fast alle Strandbars und -restaurants schliessen. Also schnell den Anker hoch und im Sonnenuntergang nach St. Tropez dampfen. Dort ist der Hafen rammelvoll, also wieder ankern, gleich neben der Einfahrt. Schlechte Idee, denn jetzt herrscht ein reges Hin und Her von flotten Tendern, welche die Gäste der grossen Motoryachten in den Jetset-Hafen bringen. Auch unser Aussenborder macht auf Diva und schmollt. Halb fahrend, halb rudernd bringe ich die Damencrews in zwei Fahrten an Land. Als ich mit meinen Flipflops ins Restaurant will, werde ich höflich, aber bestimmt abgebremst: Désolé, monsieur! Aber gleich nebenan verzeiht man mir den modischen Faux-pas und wir speisen vortrefflich.
Le Régime de brise bestimt auch am nächsten Tag das Wetter, so geht es unter Motor vorbei an der Sèche à l’huile mit Kurs Cap Dramont an der Côte entlang. In der Rade von Agay stoppt uns der Hunger und die Lust auf ein Bad. Gleich hinter der Pointe de la Baumette ist Ankern vor dem Leuchtturm verboten, aber dafür gibt es bequeme Bojen und von denen schnappen wir uns eine. Dieser Stop kostet uns 12 Euro, aber wenn sie so nett von einem jeune homme einkassiert werden, überlebt man das.
Bleiben oder weiterfahren? Nach einer Siesta geht es gegen 17 Uhr weiter, entlang der abwechslungsreichen roten Felsküste, von wir uns ab Cap Roux immer mehr entfernen. Wir durchqueren den Golf von La Napoule und steuern die Passage zwischen der Pointe de la Croisette und der Insel Ste-Marguerite an. Cannes ist uns heute zu mondän und zu gross, wir haben etwas Kleineres im Sinn. Unsere Stimmung wird getrübt, als wir im Port Camille-Rayon nach einem Platz fragen: Katamarane sind hier unerwünscht und der Vieux Port randvoll. Also wieder raus und Port Gallice anfunken. Und siehe da: ein Superplatz wartet auf uns, zwei freundliche Anlegehelfer stehen schon hilfsbereit am Quai. Auf der kurzen Überfahrt gab’s nochmals Frust: ein Speedboot braust mit einer solchen Heckwelle vor unserem Bug vorbei, dass unser Cat ein paar heftige Sprünge macht und fast alle Gläser im Schrank in Scherben gehen. Als wir auf einem der Superplätze gleich neben einer modernen Riva anlegen, frage ich nach dem Tarif, da ich Schlimmes befürchte. Als man uns aber noch ein Reduktionsstück für den Stromanschluss und eine Boutiquetasche mit Informationen und marina-eigenem Honig bringt (die Bienen wohnen und arbeiten auf dem Dach des Marinabüros) finde ich, dass ein bisschen Luxus durchaus seinen fairen Preis haben kann.
Nach ausgiebigen Duschen und Feinmachen stürzen wir uns ins Nachtleben von Juan-les-Pins. Gerade wird eine Open-Air-Bühne für ein Musikfestival fertig gebaut. Die Jugend frohlockt, coole Bars und Restaurants für jeden Geschmack, Livemusik, People Watching und ganz viele Verkaufsstände, die sich der Meerespromenade entlangziehen. In einer hippen Strandbar gibt es einen Absacker und das Briefing für den nächsten Tag: die Teenies kümmern sich um die Boutiquen, während die reifere Generation zum Bunkern abkommandiert wird (mit einem gut sortierten Supermarché und einem Taxi halb so schlimm), Ablegen 12 Uhr.
Zeit ist relativ
Das Ablegen passiert dann erst um 14 Uhr, aber das macht nichts, wir sind ja in den Ferien und nicht auf der Flucht. Ausserdem geht es heute nur rund ums Cap nach Antibes, also ein Klacks. Aber das Mittelmeer kann auch gemein sein, eine frische Brise und eine kurze steile Welle macht den Trip dann doch noch spannend und gefühlt länger, als er wirklich ist. Harbour Control Port Vauban lässt uns 1 Stunde im Vorhafen warten, dann bekommen wir einen schönen Platz zugewiesen. Es folgt das übliche Landprogramm: mit offenen Augen durch die Stadt flanieren, feines Abendessen Chez Margherite auf der Place de Nationale (31, Rue Sade) und ein standesgemässer Gin Tronic im Drinkers Club, inmitten von Yachties. Eigentlich müssten wir morgen nach Nizza, um die Eltern der Freundin unserer Tochter zu treffen. Wir drehen den Spiess um und laden die Eltern zum Abendessen nach Antibes ein. So ein Absacker macht kreativ…
Es ist schön, so unverhofft einen Tag mehr Zeit zu haben. Und Dingen nachzugehen, die man beim Vorbeigehen bemerkt hat. So schauen wir bei einem Glasbläser hinter die Kulissen, kommen mit einem Künstler (Jac-kino) ins Gespräch, der mir sein Atelier im Festungswall zeigt. Er mixt ein bisschen Warhol, Basquiat und Rauschenberg, aber die Werke sind spannend und er verkaufe sogar in Amerika. Einen schönen Rosé gönnen wir uns beim Marché, wo die Marktstände zusammengeräumt werden und etwas Stimmung wie bei Irma la Douce aufkommt. Am Nachmittag noch mehr Kultur: Besuch des Picasso-Museums (mit wunderschönem Ausblick aufs Meer. In der Ausstellung von Chaume Plensa, einem Katalanen, der auch die riesige weisse Skulptur «Nomade» geschaffen hat, die über die ein- und ausfahrenden Schiffe beim Hafeneingang blickt. Auf dem Rückweg quer durch die Stadt bremsen Secondhand-Shops und Antiquariate unsere Durchschnittsgeschwindigkeit. Abends dann eine Art Captain’s Dinner mit den Eltern von A. in einem romantisch-verwunschenen Innengarten bei La Guinguette. Rundgang über die Wehrmauern, wo beim Nomaden eine Pop-up-Disco für Drinks und gute Laune sorgt. Wir halten uns aber an Traditionen und ordern beim Drinkers Club noch Nelson’s Medizindrink. One last glass for the road… to the ship.
Und wieder zurück
Die grosse Frage ist heute: wie teilen wir die zweite Woche mit der Rückreise ein? Neues entdecken oder Bekanntes vertiefen? Ein kurzes Fazit der ersten Woche zeigt: ein einziger Abend St. Tropez ist zu wenig und Porquerolles war auch viel zu schön – diese beiden Etappen sind also gesetzt. Also in einem Rutsch wieder zurück, vor der Plage de Pampelonne fällt der Anker. Gerade rechtzeitig zum (späten) Mittagessen. Per Funk melden wir uns bei ernesto, der mit seinem schwarzen Rib den Shuttledienst zwischen den Yachten und dem Strand abwickelt. Loulou und Club 55 sind voll, im Le Palmier ist noch ein Tisch frei. Nicht nur unsere Töchter staunen über das belle vie hier. Zum exquisiten Essen gibt es parallel eine unaufdringliche Modeschau, ein Zauberer tänzelt von Tisch zu Tisch und verblüfft mit Tricks. Wenn irgendwo eine Magnum bestellt wird, dreht die Musik auf, das Servicepersonal steigt auf die Stühle – Celebration!
„Porquerollitis“
Zurück auf unserer Insel! Wir bringen unseren kapriziösen Aussenborder in die Werkstatt. Auf dem Rückweg muss ich an John Steinbeck denken, der in seinem „Logbuch des Lebens“ schon vor mehr als 70 Jahren genau das gleiche, leicht hintergältige Verhalten unseres Aussenborders beschrieben hatte – wo ist der Fortschritt geblieben? Am nächsten Tag ist der Verräter immer noch nicht wie versprochen fertig und zwingt uns zum Dableiben. Niemand ist wirklich verärgert darüber, jeder hat so seine eigenen Inselpläne. Man weiss es: Porquerolles hat eine merkwürdige Wirkung auf manche Menschen. Es gibt dazu auch einen literarischen Beweis von Georges Simenon. Der Krimiautor liess seinen Kommissar Maigret einst hier ermitteln. Der Autor kannte die grösste der Lérins-Inseln, anders als sein Romanheld in „Mein Freund Maigret“, schon sehr lange; er hatte dort sogar ein Haus gekauft. Ein im Roman namenlos bleibender Zahnarzt hatte ein Wort für das Symptom erfunden: „Porquerollitis“. Er litt unter dieser „Krankheit“ und hatte nach seinem ersten Aufenthalt nur noch einmal die Insel verlassen: um seine Praxis aufzulösen.
Beim Ankern vor der Plage de Notre Dame kann man das nachfühlen, beim Schlendern durch das das Minidörfchen verstehen. Sind abends die Tagestouristen weg, ist man unter sich, eine fast familiäre Stimmung und eine wohltuende Relaxtheit schweben durch die Sommernacht. Aber es kommt noch besser: ein schöner Vollmond (wieder mal ein Supermoon) schiebt sich über das Fort Agathe, wir sitzen auf dem Roof unseres Cats, schauen zuerst dem Naturschauspiel zu und drehen uns dann Richtung Hyères um, weil dort das Feuerwerk zum morgigen 14. Juli in den Himmel gejagt wird.
Am nächsten Tag ist unser Aussenborder fertig und es gibt keine Entschuldigung mehr auf der Insel zu bleiben. Wir müssen weiter Richtung Marseille. Der Wind auf die Nase macht unseren Abschied nicht leicht, mais c’est la vie. Bei den kurzen Distanzen an der Côte ist auch das Aufkreuzen halb so schlimm. Nach einem kurzen Nachmittagsstop hinter der windgeschützen Pointe du Rabat hat sich der Wind etwas gelegt, sodass wir entspannter weitersegeln können. Vor Toulon wenden wir und lassen eine Korsikafähre passieren. Beim Cap Sicie nehmen wir die Genua weg und motoren in den Sonnenuntergang. Mit den letzten Strahlen umrunden wir die St.-Pierre-des-Embiez und lassen den Anker im Windschutz nördlich der Insel fallen. Die Töchter kochen und verwöhnen uns mit Spaghetti al pesto, perfekt mit Pinienkernen. Abends dann das grosse Spektakel des Nationalfeiertags der Frenchies: ringsum brennen Bandol, Sanary-sur-Mer und andere Locations der weiten Bucht ihre Feuerwerke ab.
Am nächsten Rückreisetag nehmen wir uns noch die Calanques bei Cassis vor. Und die haben es alle drei wirklich in sich. Schmal und tiefeinschneidend sind sie absolut sehenswert. Anlegen kann man nur in der grössten, in der Calanque de Port-Miou. Das auch nur im vorderen Teil, wo man an einer Boje mit Heckleinen an Land liegen kann. Wir motoren weiter zur Calanque de Morgiou, wo wir ein letztes Mal vor Anker gehen. Jetzt, wo wir ihn nicht mehr brauchen, läuft der Aussenborder wie eine Eins. Wir nützen das aus und machen noch etwas Fahrschule mit unseren Töchtern. Dann heisst es unterSegeln zurück nach Marseille. Dort angekommen, kämpfen wir uns gegen den Strom von Wassersportlern, die abends noch schnell aus der Stadt wollen. Es ist Freitagabend, das Wochenende steht vor der Tür, die Armada von Segel- und motorboote sucht das Weite. Auch an der Tankstelle herrscht ein heilloses Getümmel, ich hätte doch lieber aussen auf den Inselchen tanken sollen. Port du Frioul oder die Marina bei der Pointe-Rouge wären eventuell die besseren, weil ruhigeren Alternativen gewesen. C’est pour la prochaine fois…
Dafür ist das Auschecken mit Sébastien von Dream Yacht Charter ein Vergnügen. Sympathisch und hilfreich wie beim Einchecken haken wir auch diesen letzten Punkt locker ab. Den Samstag starten wir mit einem ausgedehnten Petit Déjeuner und gönnen uns eine Stadtrundfahrt im offenen Doppeldeckerbus. Sonst nicht so mein Ding, doch wenn man nur wenige Stunden zur Verfügung hat, macht es durchaus Sinn. Es geht durch die Stadt, dem Meer entlang und dann hinauf zur Basilisque Notre-Dame de la Garde, die mit ihrer goldenen Marienfigur die Stadt überblickt. Dann tauchen wir noch zu Fuss ins Gewimmel am Vieux-Port und der Canebière ein und suchen dann ein ruhiges Plätzchen, das wir auf der Place Thiars finden. Im Fuxia gibt es noch ein mediterranes Gelage, bevor uns ein Taxi zum Bahnhof bringt. Mit dem TGV geht es Richtung Basel, alle hängen ihren Gedanken und Erinnerung an zwei intensive und trotzdem relaxte Wochen nach. Wir haben ein paar sehenswerte Dinge auf unserer Bucketlist noch nicht abgehakt. Also au revoir la mer, wir sehen uns bald wieder.
INFO
Wir haben über mycharter.ch bei Dream Yacht Charter eine Lagoon 40 gechartert. In der Hauptsaison vielleicht nicht die beste Wahl, weil viele Häfen keinen Platz zur Verfügung haben. Aber es gibt auch erfreuliche Ausnahmen (Porquerolles, Port Galice). Viele Marinas ändern bereits ihre Liegeplatzkonzepte, da immer mehr Katamarane verkauft werden. Das Revier
Porquerolles
Plätze in der Marina oder an Bojen. Abends wartet ein Empfangskomitee vor der Hafeneinfahrt und weist Plätze zu. VHF 9, Tel. +33 4 98 04 63 10
www.hyeres-tourisme.com
Saint-Tropez
Wer auf Nummer sicher gehen will, muss reservieren, am besten lange im Voraus. Coole Lounge auf dem Dach der Capitainerie. VHF 9, Tel. +33 (0) 494 566 870
www.portsainttropez.com
Antibes, Port Vauban
Grosser Hafen mit 1‘500 Plätzen für Yachten und grössere Kaliber bis 160 Meter. Anmeldung unbedingt erforderlich. VHF 9, Tel. +33 4 92 916 000
Juan-les-Pins, Port Galice
Moderne und effiziente Marina mit Superservice. Gehört zur Marinagruppe Riviera Ports. VHF 9, Tel. +33 4 93 217 217
www.riviera-ports.fr