Wer segelt, hat bestimmt schon einmal von ihm gehört – oder eines seiner Bücher gelesen. Sein Leben ist eine aussergewöhnliche Reise, berühmt wurde er als Autor von „Segelrouten der Welt“ und als Erfinder der ARC, der Mutter aller Rallys für FahrtenseglerInnen. Detlef Jens traf Jimmy Cornell auf der „boot“ und sprach mit ihm über – das Segeln.
Jimmy Cornell, 1940 in Rumänien geboren, wuchs in Brasov auf und besuchte dort das deutsche Honterus-Gymnasium, noch heute spricht er sehr gutes Deutsch und so konnten wir auch dieses Interview auf Deutsch führen. Später studierte er Wirtschaftswissenschaften an der Universität von Bukarest.
1969 kam er mit seiner britischen Ehefrau Gwenda nach London und arbeitete lange als Journalist für den BBC. Dort lernte er auch das Segeln. Die Liebe zur See und vor allem das Fernweh trug er bereits seit seiner Kindheit in sich und so segelte er 1975 mit seiner Familie los. Mit an Bord waren seine Frau Gwenda und die Kinder Doina, damals sieben Jahre alt, und Ivan, damals fünf. Sechs Jahre dauerte diese Weltumsegelung, die sie in rund 70 Länder führte und auf der sie 68.000 Seemeilen zurücklegten. Während der Reise sandte Jimmy Cornell regelmässige Radioberichte an den BBC World Service und arbeitete freiberuflich für verschiedene Magazine und Radiostationen.
Einige Zeit später erfand er die ARC
(Atlantic Rally for Cruisers) und bald darauf machte er das Segeln zu seinem Beruf. Als Segler hat er über 200.000 Seemeilen in allen Gewässern der Welt in seinem Kielwasser, bekannt ist er vor allem als Autor zahlreicher Bücher, die zum Teil zu Standardwerken für BlauwasserseglerInnen wurden („World Cruising Routes“, deutsch: „Segelrouten der Welt“), und natürlich als Segler selbst.
WAVE: WIE HAST DU GWENDA EINST GETROFFEN?
Cornell: In Rumänien, 1963 ich war an der ungarischen Grenze, da kam ein Auto mit vier jungen Engländern. Wir haben miteinander gesprochen, eine davon war Gwenda. Sie ist im folgenden Jahr zurückgekommen, wir waren 24 Jahre alt und sehr verliebt. Es war damals eigentlich unmöglich, das Land zu verlassen, wir mussten eine Genehmigung vom Staatsrat bekommen und das hat fünf Jahre gedauert.
WAS HAT GWENDA IN RUMÄNIEN GEMACHT?
Ihr Vater hatte einen Unfall gehabt und sie musste für die Familie sorgen, sie hat also gearbeitet und englische Touristen betreut.
SIE WAR DER SCHLÜSSEL FÜR DICH, DAS LAND VERLASSEN ZU
KÖNNEN?
Das hatte ich schon früher einmal am Schwarzen Meer versucht. Zu einen Norwegischen Schiff zu schwimmen, dann wurde auf mich geschossen. Glücklicherweise hat mich die Grenzpolizei nicht erwischt. Ich habe gesagt, Schluss damit, aber ich muss eine Lösung finden. Gwenda war nicht eine Lösung, wir waren wirklich verliebt. Ich hätte sowieso irgendwie das Land verlassen. 57 Jahre sind wir nun zusammen…
RUMÄNIEN IST JA NICHT WIRKLICH SEGELNATION, WIE KAMST DU ZUM SEGELN?
Als ich drei oder vier Jahre alt war, wurde ich von meiner Familie in einen Matrosenanzug gesteckt. Ich habe dann entschieden, dass ich einmal Matrose werden möchte, dabei hatte ich die See niemals gesehen. Aber trotzdem wollte ich immer unbedingt auf See gehen, nicht unbedingt mit einer Yacht, sondern als Seemann auf einem Frachtschiff. So ist das gekommen, viel später habe ich das mit Gwenda besprochen. Als ich 30 Jahre alt war, habe ich zu ihr gesagt: meine Karriere kann warten, aber was nicht warten kann ist, dass ich mit ihr und unseren Kindern auf eine Weltreise mit einem Segelboot gehen möchte. Da war ich natürlich schon in England. Wir hatten nicht genug Geld, also haben wir nur den Rumpf einer Van de Stadt Yacht gekauft und selber ausgebaut. Jeden Abend, jede Nacht, jahrelang ging das so. 1975 sind wir dann mit unseren zwei Kindern los gesegelt. Wir dachten, wir nehmen uns drei Jahre für eine Weltumsegelung, es hat dann sechs Jahre gedauert. Es ist alles gut gelaufen, ich habe von unterwegs Berichte an die BBC geschickt, für die ich ja vorher schon gearbeitet hatte. Dann habe ich mehr und mehr auch für andere geschrieben, über die Yachten, die unterwegs waren und deren Ausrüstung und so langsam bin ich dann auch in diese Segelbranche gekommen. Als wir nach sechs Jahren zurück kamen habe ich noch fünf Jahre weiter bei der BBC gearbeitet, bis ich die Idee hatte, die ARC zu gründen.
HATTEST DU BESONDERE
SEGELVORBILDER?
Nein, nichts, ich habe nur Bücher gelesen. Das Buch, welches mich am meisten beeinflusst hat, war das von Thor Heyerdahl. Kon Tiki. Ich habe gedacht: Das ist Freiheit! Dass Menschen so etwas einfach tun können, das war im kommunistischen Rumänien einfach undenkbar. Das ging einfach nicht, aber ich habe gedacht, so etwas möchte ich auch tun. Wir hatten keine Ahnung wie die Menschen im Westen so leben, aber dieses Buch gab einen kleinen Eindruck davon. Komischerweise wurde es in Rumänien sogar verkauft. Da erfuhr man doch überhaupt erst einmal von dieser Freiheit, die Menschen haben können, einfach auf See zu gehen.
VON ERIC HISCOCK ODER BERNARD MOITESSIER, DEN DAMALIGEN
„SEGELHELDEN“, HATTEST DU KEINE IDEE?
Nein. Aber dann, als ich mich entschlossen hatte, eine Yacht zu bauen und auszurüsten, habe ich angefangen diese Bücher zu lesen und habe viel daraus gelernt. Aber was mir dabei besonders auffiel, war, auch als BBC Journalist, dass alle immer nur einen Standpunkt hatten, nur einen Blickwinkel. Immer das, was sie selbst wussten und nichts anderes. Das ist nicht gut, dachte ich, ich möchte auch von allen anderen wissen, wie sie segeln. Ich muss also Umfragen machen, um das herauszufinden. Das habe ich dann das erste Mal 1978 in Fiji gemacht, ich habe 62 Segler ausgefragt, über alles. Das Boot, Elektrizität, Crew, ob Besatzung oder nicht, Finanzen, Typ der Yacht, Segel, einfach alles. Darüber habe ich einen ausführlichen Artikel geschrieben, der ist überall in der Welt in den grossen Segelzeitschriften erschienen. So habe ich angefangen, dabei bin ich geblieben, die letzte Umfrage habe ich vor zwei Monaten gemacht, dabei ging es eher um den Klimawandel… insgesamt habe ich über die Jahre vielleicht 20 solcher Umfragen gemacht.
WANN HAST DU BEI DER BBC
AUFGEHÖRT?
Es ging irgendwann nicht mehr, ich hätte zwar dort weitermachen wollen aber ich dachte auch, wenn ich weiter segeln möchte, muss ich bei der BBC aufhören. Die ARC wurde dann die Basis dafür. Aber ich habe die BBC nicht gleich verlassen. Bei der ersten ARC war ich noch bei der BBC. Ich dachte damals, es werden vielleicht 30 oder 40 Yachten teilnehmen, doch es wurden 209. Dann sind die Briefe gekommen: Wann ist die zweite ARC? Das hatte ich nicht geplant. Dann hatten sich 190 Yachten für die zweite ARC angemeldet und endlich habe ich gesagt, ich kann so nicht weiter machen, die ARC veranstalten und gleichzeitig bei der BBC arbeiten. Dann habe ich meine erste Yacht verkauft und „World Cruising“ gegründet.
WIE KAM DIR DIE IDEE ZUR ARC?
Ich war für die englische Zeitschrift „Yachting World“ auf den Kanaren um einen Bericht über die Segler zu schreiben, die dort losfahren über den Atlantik. Dann wollte ich nach einem Monat in die Karibik fahren und die wieder interviewen. Jeden Tag sind drei, vier, oder auch mehr losgesegelt. Der Abschied war nicht immer leicht. Viele haben Freundschaften mit anderen Seglern geschlossen. Da habe ich gedacht, warum gehen sie so vereinzelt über den Atlantik, sieben heute, drei morgen? Warum nicht lieber alle zusammen? Und so kam ich auf die Idee. Nach 40 Jahren ist es immer noch eine gute Idee. Es sind viele andere Rallys nachgekommen.
DIE GRUNDIDEE WAR ALSO EHER DAS GESELLIGE, DAS GEMEINSAME?
Ja, die Sicherheit in einer grossen Gruppe, aber auch die Gemeinschaft. Der soziale Punkt ist wichtig. Damals war das so eine Idee von mir, ich dachte, ich versuche es einmal und wenn es nicht klappt, dann gehe ich weiter. Aber es hat ja sehr gut geklappt!
HAT SICH DIE CRUISING
COMMUNITY VERÄNDERT?
Ja, alles hat sich geändert. Ich habe ja viele Umfragen gemacht, alles ist anders. Auf unserer ersten Weltumsegelung in den 1970er Jahren haben wir mit Sextant navigiert, aber dann, in den Tuamotus, wurde es gefährlich. Es war Nacht, keine Sterne, nichts zu sehen und wir sind zwölf, 14 Stunden lang praktisch blind gefahren. Es war ein unglaublicher Stress, die Seekarten waren auch nicht so genau damals. Das ist jetzt ganz anders, mit GPS ist es ja fantastisch. Das kann man gar nicht vergleichen. Aber damals, meine Yacht war mit 11 Meter Länge ja wirklich nicht klein, aber heute ist sie es. Was sich auch geändert hat ist das Wache gehen. Damals war Tag und Nacht jemand auf Wache. Jetzt haben die Leute Radar und AIS und so weiter und ich habe gemerkt, dass heute einige nachts schlafen. Ein deutscher Segler sagte mir einmal: Wir sind sehr streng, bei mir sind immer Wachen. Der Mann der nicht auf Wache ist, schläft in seiner Koje. Und der Mann, der auf Wache ist, der schläft im Cockpit!
DIE TECHNIK ÜBERNIMMT VIELES, MACHT ABER AUCH EINIGES ZU EINFACH?
Es haben heute genauso viele Yachten Probleme wie vor 50 Jahren. Leider auch Frachtschiffe.
WAS HAT SICH DURCH DEN
KLIMAWANDEL VERÄNDERT?
Vor allem zwei sehr wichtige Dinge. Die Winde sind nicht mehr so konstant, besonders der Passat ist nicht mehr so zuverlässig. Man kann nicht mehr sagen, du segelst von Gran Canaria los und hast NE-Wind bis in die Karibik, das gibt es gar nicht mehr. Das ist jetzt viel wechselhafter. Auch die Wasserströmungen in den Ozeanen sind nicht mehr so konstant, wahrscheinlich weil die Ozeane wärmer geworden sind. Das Wichtigste aber sind die Wirbelstürme. Obwohl deren Frequenz nicht höher geworden ist, werden sie stärker. Und sie treten auch in immer grösseren Gebieten auf.
WIE STEHT ES HEUTE UM DIE
SEEMANNSCHAFT?
Gestern ist jemand hier auf der Messe zu mir gekommen, der hat sich eine Yacht bestellt, 52 Fuss. Er hat mich verschiedenes gefragt, auch nach den Segeln. Ich habe gesagt, das hängt davon ab wie viel Erfahrung du hast, wenn du die hast, dann brauchst du natürlich auch einen Spinnaker. Er sagte, er habe nur gechartert, nun wolle er mit seiner Frau segeln. Seine bisherige Erfahrung sind 7000 Meilen nur auf Charteryachten, dies ist seine erste eigene Yacht. 52 Fuss. Da ist es sehr schwierig für mich, dazu etwas zu sagen. Ich war ja auch ein Greenhorn, als ich damals losfuhr, aber du musst immer daran denken, dass du ohne Erfahrung die Lösungen für Probleme unterwegs selbst finden musst. Das ist aber nur ein Beispiel, die meisten haben ja doch schon etwas Erfahrung.
WAS WÜRDEST DU LEUTEN
EMPFEHLEN, DIE EINE LANGE REISE PLANEN?
Dafür habe ich das Buch „Mein Leben unter Segeln“ geschrieben. Ich habe viel Glück gehabt, alles das machen zu können, was ich im Leben gerne wollte. Dass man sowas sagen kann, ist schon fantastisch, aber das ist die Wahrheit. Und ich glaube – da ich so glücklich war – dass ich eine Verantwortung habe, meine Kenntnisse weiterzugeben. Ich habe das Buch so zusammengestellt, dass diese Leser etwas von meiner Erfahrung haben. Auf der einen Seite geht es da um mein Leben, meine fünf Yachten, meine drei Weltumsegelungen. Jedes zweite Kapitel beschäftigt sich aber auch mit den ganz praktischen Dingen, es geht also um Besatzungen, Navigation, Motoren, Beiboote, absolut alles. Wenn man diese praktischen Kapitel nicht lesen möchte, muss man es ja nicht, aber man kann dort schon sehr viel erfahren.
DIESE ROMANTISCHE IDEE, MIT
WENIG GELD UM DIE WELT ZU
SEGELN, GEHT DAS HEUTE NOCH?
Das haben wir gemacht. Das gibt es immer noch. Wir hatten damals etwa 28 Pfund, also ungefähr 40 Euro pro Woche durch die BBC zum Leben. Das war wirklich nicht viel, aber wir sind damit hingekommen. Heute musst du zum Beispiel Versicherungen haben, ohne die darfst du einen Hafen gar nicht mehr anlaufen. Das ist ein Problem, denn die Versicherungen sind teuer geworden, da musst du schon mal ein paar tausend Euro ausgeben. Dann gibt es heute fast überall Gebühren, auch wenn du ankerst. Selbst die Formalitäten beim Ein- oder Ausklarieren kosten viel mehr. Du kannst also nicht mehr für nichts um die Welt segeln. Du brauchst schon ein Minimum an Geld.
WIE HABEN DIE RALLYS DIE SZENE VERÄNDERT? Die ARC hat ja einen Trend ausgelöst. Ich bin sehr glücklich damit, denn die Rallys sind ja besonders für die Leute wichtig, die nicht soviel Erfahrung haben. Grundsätzlich ist das Format bei allen ziemlich dasselbe geblieben. Es gibt Sicherheitskontrollen, damit die Schiffe gut ausgerüstet sind, es gibt die Seminare zu verschiedenen Themen und noch viel mehr Hilfe. Ich bin sehr glücklich, dass es das alles gibt.
WAS IST DEIN LIEBSTES
SEGELREVIER?
Die Antarktis. Ich war zweimal dort und da kannst du dir ganz gut vorstellen, wie die Welt vor ein paar tausend Jahren wohl gewesen war. Doch von der Schönheit her, würde ich sagen, sind es wohl eher die Marquesas. Und was die Menschen betrifft, dann ist mein Lieblingsrevier Vanuatu. Die Menschen dort sind sehr warm und freundlich, da fühlst du dich sehr gut.
WELCHE ART VON SCHIFF IST
DEINER MEINUNG NACH GUT FÜR DEN LANGEN TÖRN?
Die Aventura IV ist eine Garcia Exploration 45, ideal für hohe Breiten, aber auch gut für die Tropen. Also für Menschen, die wirklich die Welt sehen wollen, egal wo, da ist das die richtige Yacht. Aber seit ich auch mal einen Katamaran gesegelt habe, denke ich, dass für eine Familie in tropischen Gewässern zwischen 30 Grad Nord und 30 Grad Süd ein Katamaran sehr gut ist. Das ist zwar eine Generalisierung, aber wenn ich jetzt mit Familie losfahren würde dann mit einem Kat, nicht zu gross. Doch eine Yacht für alles und überall, für alle Jahreszeiten und alle Gewässer, das ist die Garcia Exploration 45.
WELCHE VON DEINEN VIELEN
REISEN WAR DIE SCHÖNSTE?
Die erste Reise, mit meiner Familie, war einhundertprozentig die schönste. Wir waren sechs Jahre zusammen, wir sind auch nicht zwischendurch mal eben nach England gefahren. Wir haben eine Hurrikansaison in Neuseeland verbracht. Meine Kinder sind jetzt natürlich schon lange erwachsen. Doch was sie auf dieser Reise durch all die vielen Länder gelernt haben, hat sie bestens auf das Leben vorbereitet. Andere Kulturen, andere Rassen, das hat ihnen ja auch einen anderen Blick auf die Welt vermittelt. Sie sind so dankbar, dass wir das damals gemacht und sie so gut vorbereitet haben. Das war nicht nur meine schönste Reise, sondern auch der grösste Erfolg in meinem Leben. Und das aufgrund der Entscheidung, alles zurückzulassen, keine Karriere zu verfolgen, sondern mit jungen Kindern und meiner Frau auf eine grsse Reise zu gehen.
Mehr über Jimmy Cornell, seine Bücher und sein Leben auf
cornellsailing.com
und
cornell-sailing.de