Unter Walen

Whalewatching in Norwegen ist nichts für Warmduscher. Schon gar nicht, wenn man als Freitaucher den Giganten auf Augenhöhe begegnen will. Eine Woche lang Orcas und Buckelwale beim Fressen und Jagen zu beobachten ist nicht nur für Apnoetaucher ein atemberaubendes Ereignis. Ob vom Boot aus oder unter Wasser – die Eindrücke machen sprachlos.  

2 Grad Luft, 7 Grad Wasser, 4 Stunden Tageslicht, 1 Tag Anreise. Man muss es mögen. Wer diese Kriterien für seine Reiseziel im November wählt, weiss, wofür er es tut. Iwan, Marion und Florian haben sich lange auf ihren Traum vorbereitet, Wale in ihrer natürlichen Umgebung zu beobachten. In ihrem 6-Tagebuch beschreiben sie, wie mit jedem Flossenschlag und Atemzug ihre Erwartungen übertroffen wurden.

Tag 0 – Tageslicht aus – Nordlicht an

Die Aufregung lässt der Erschöpfung keinen Raum. Nach drei Flügen und 200 Autokilometern in dämmriger Nachmittagssonne wartet der beschauliche Ort Sorkjøsen auf seinem 70sten Breitengrad ruhig auf seine Besucher. Sommer und Winter dient er als Ausgangspunkt für Norwegenliebhaber, die auf kleinem Raum das erleben wollen, was man sich von einer Region oberhalb des Polarkreises erwartet: Fjorde, Inseln, Einsamkeit, Angelgründe, Schlittentouren mit oder ohne Hund, – und Wale.

Dass den drei Freunden bereits am Anreisetag das Polarlicht (Aurora borealis) den Weg in Richtung Norden weist, deuteten Marion, Iwan und Florian als Omen für eine eindrucksvolle Woche. Sie sollen recht behalten.

Tag 1 – die Qual – der Wal

Aufstehen im Dunkeln, 7:45 startklar in Vollmontur. Am ersten Tag ist der Tauchanzug noch trocken. Tagesanbruch 08:30, Tendenz steigend.

Sonnenuntergang 14:00, Tendenz fallend

Über Nacht hat es geschneit. Nicht viel, aber der weisse Winterbote lässt erahnen, was das Wetter die nächste Woche zu bieten vermag.

Noch an Land ist die Spannung gross. Noch gilt sie dem Equipment. Der erste Tag ist die Bewährungsprobe für das Gespür der Wahl des passenden Materials. Die Sorge um den perfekten Wärmeschutz sprengte schon zu Hause beinahe Budget und Koffer. Der neuen 8mm-Tauchanzug, Kälteschutzcreme und Füsslinge bewähren sich für Iwan und Florian in Sekundenschnelle. Marion, die eine Woche Frischluft auf dem Boot vor sich hat, wird von Uwe kurzerhand in etwas gesteckt, das wie die Kreuzung einer Folienkartoffel mit einem zweibeinigen Schlafsack aussieht und unendlich warmhält. Es kann losgehen.

Uwe beweist sich schnell als erfahrener Bootsguide und bringt mit Sach- und Revierverstand Ruhe in die hibbelige Crew. Kameras am Anschlag, Schnorchel und Maske griffbereit. Ab jetzt heisst es Ausschau halten.

Jeder Anfänger weiss, dass Wale an ihren Blasfontänen (Blas) und ihren Schwanzflossen (Fluken) erkennbar sind. Woran wenige denken:  Möwen und Trawler die verlässlicheren Navis für Heringe und somit ein Quasi-Garant für Walsichtung sind. Denn die beliebten Dosenfische stehen auch bei Walen ganz oben auf dem Speiseplan. In riesigen, teils sprudelnden Schwärmen (engl. baitballs) ziehen die Heringe an der norwegischen Küste entlang und lotsen dadurch ihre treuen Fressfeinde in Richtung Arktis. Schwertwale (Orcas), Buckelwale, Zwergwale und Finnwale jagen hungrig den Schwärmen hinterher. Je nach Revier und Glück werden Touristen zu Zeugen, wie ganze Horden von Meeresriesen beim Massenfressen ein brodelndes Gemetzel veranstalten. Aber davon später. Zuerst zurück aufs Boot.

Nach einer Stunde Fahrt die erste Flosse. Der erste Atem verschlägt. Ein Buckelwal bahnt sich durch den Fjord. Als er beim Abtauchen die legendäre Schwanzflosse zeigt, sind sich alle einig – bereits jetzt hat sich die Reise schon gelohnt. Dann schreit jemand: «Fins, fins!» Das heisst – Orcas. Boot platzieren, Motor aus. Und jetzt? Ab ins Wasser! Ins Wasser? Was sonst! Dafür sind sind die Jungs hier.

Fortsetzung in unserer Printversion. Am Kiosk oder bequem im Abonnent. Einfach Mail mit Ihrer Adresse und Bestellung Jahresabo an abo@wave-mag.ch senden.

Share the Post:

Könnte Ihnen auch gefallen

#Free Paul Watson

Mit seinen langen silbernen Locken und dem wilden Bart ähnelt Paul Watson einem modernen Kapitän Ahab, dem fiktiven Walfänger in Herman Melvilles Roman Moby Dick.

mehr lesen ‭→