Und so einiges dazwischen.
Ein halbes Jahrhundert Yachtdesign – und immer noch führend dabei. Judel/Vrolijk ist eines der wenigen Designbüros, das beständig und schon sehr lange erfolgreich ist, dabei verschiedene Epochen des Segelsports mitgemacht und eine beeindruckende Vielfalt verschiedenster Schiffe entworfen hat. Detlef Jens besuchte das Büro in Bremerhaven und sprach mit den Gründern Fridrich „Fietje“ Judel, Rolf Vrolijk und dem bald darauf dazu gestoßenen Torsten Conradi.
WAVE: Die Anfänge von Judel/Vrolijk Design, offiziell “Judel/Vrolijk & co design + engineering GmbH”, liegen weit zurück in nebulöser Vergangenheit. “Wir können für die Firmengründung kein genaues Datum angeben”, sagt Rolf Vrolijk, “es muss aber mehr oder weniger 50 Jahre her sein.” Fietje Judel ergänzt: “Die ersten Boote haben wir aus Spaß entworfen. Und das ging dann immer weiter…” Bei meiner Frage, wie viele Boote J/V denn bis jetzt entworfen hat, lachen alle drei und zucken die Schultern. Torsten Conradi versucht, das einzugrenzen: “Es müssen an die oder etwas mehr als 1000 sein. Nehmen wir im Schnitt 20 Entwürfe pro Jahr und das über 50 Jahre…” Rolf: “Wir haben ja nie unsere Boote gezählt oder ein Register angelegt. Vielleicht hätten wir das tun sollen?”
Die Geschichte von Judel/Vrolijk hat also keinen festen Anfang, und ein Ende ist auch nicht in Sicht. Es ist aber schon ein Glücksfall, dass alle drei “Senioren” der Firma sich dazu bereit erklärt haben, mich für dieses Interview hier in Bremerhaven zu treffen, wo die Weser direkt vor der Tür vorbei und in die Nordsee hinaus fließt, jedenfalls bei ablaufendem Wasser. Fietje ging schon 2008 in den Ruhestand, und Rolf spricht zumindest davon, dies auch bald zu tun, schon jetzt kommt er nur noch ein- oder zweimal jede zweite Woche ins Büro. Torsten, zehn Jahre jünger als diese beiden, ist in seinen 60ern. Aber der Generationenwechsel ist fast komplett. Heute arbeiten 12 Personen bei J/V; Konstrukteure, Designer, Ingenieure. Die meisten davon sind bereits seit vielen Jahren hier und kennen den Betrieb gut genug, um, wenn die Zeit kommt, das Ruder übernehmen zu können. So, wie diese beiden: Tobias Kohl ist spezialisiert auf Grand Prix Rennyachten, während Johan Siefer sich eher um Serienyachten kümmert. Beide gehören bereits zur Geschäftsführung.
Rolf Vrolijk wurde in den Niederlanden geboren und kam, wie er sagt, wegen des Segelns nach Deutschland. “Die Regatten mit OK-Jollen in Kiel, das war damals das große Ding. Und es ergab sich gleich eine Verbindung zu den anderen Seglern.“ Von denen einer Michael Schmidt heißt, später bekannt als Gründer von Hanse Yachts und jetzt Y-Yachts. “Wir gingen dann zusammen nach Kanada, dort wurde die Shark 24 gebaut und wir hatten auch mit C&C Yachts zu tun“, erklärt Rolf. Hauptsächlich auf der Suche nach Boots-Jobs, wie es scheint. Wieder in Deutschland, begann Rolf, der Schiffbau studiert hatte, für den Deutschen Segler Verband Boote zu vermessen. Dabei traf er dann Fietje, der als Vermesser beim DSV fest angestellt war und bald auch die technische Abteilung dort leitete. Boot entwarf er als Hobby: “Darunter war auch ein 30er Jollenkreuzer, den ich 30 Jahre später immer noch segelte und der auch eine Weile bei der Werft Schneidereit in Serie gebaut wurde“, erinnert er sich. Aber er zeichnete auch IOR-Rennyachten. “Als ich gefragt wurde, ob ich nicht einen Vierteltonner für die Pokalregatten entwerfen könnte, hatte ich in meinem regulären Job gerade so viel zu tun, dass ich Rolf bat, mir zu helfen.” Das Boot hieß Quadriga und zeigte ein vielversprechendfes Potenzial beim Vierteltonner-Pokal 1979, bis der Mast herunter kam. “Das Boot wurde von Rudi Magg gesegelt”, erklärt Rolf, “und er hatte es irgendwie, mit Masten! Er experimentierte sehr viel und hatte einen Starboot-Mast umgetüftelt für den Vierteltonner. Schade, eigentlich, denn er hätte den Pokal auch gewinnen können!“
Danach wurden Judel und Vrolijk immer öfter gebeten, Yachten zu entwerfen oder sie zumindest zu modifizieren. “Wir hatten damals Container und Pinta, zwei von Doug Peterson entworfenen Top-Rennyachten im Bereich der Achterschiffe ziemlich radikal verändert, die Eigner wollten das so. So kamen wir überhaupt in diese ganze Admiral’s Cup Geschichte hinein. 1980 und 81 haben wir dann Düsselboot entworfen, unseren ersten Eintonner mit Fraktionalrigg und ein potentieller Admiral’s Cup Racer. Und erst dann dämmerte uns, dass wir vom Yachtdesign vielleicht sogar würden leben können!”
Dann ging es steil bergauf. “1983 gewannen wir den Admiral’s Cup mit Sabina, Pinta und Outsider, welches die alte Düsselboot war”, erklärt Rolf. “Und 1985 gleich noch einmal, mit einer neuen Outsider, Rubin und Diva.” Natürlich alles Entwürfe von J/V, mit Ausnahme der Sabina, die von Jacques de Ridder stammte. Die Yachten von Rolf und Fietje behaupteten sich damals gegenüber der härtesten internationalen Konkurrenz von Designern wie Doug Peterson, Bruce Farr oder Ron Holland. In Bremerhaven, nur wenige Schritte vom heutigen J/V-Büro entfernt, befindet sich das Deutsche Schifffahrtsmuseum. Hier ist die voll aufgetakelte Diva permanent ausgestellt.
Diva, im Admiral’s Cup von Bernie Beilken gesegelt, spielt noch eine andere wichtige Rolle in der Welt von J/V. “Durch sie kam ich zu Fietje und Rolf”, erklärt Torsten. “1984 gewann Kalle Dehler den Dreivierteltonner-Pokal, mit einer db2 namens Positron, und versegelte dabei auch ein oder zwei Boote von J/V. Ich gehörte damals zur Crew der Positron und hatte ihr Ruder entworfen, welches elliptisch war. Danach bestand Bernie darauf, auch für seine neue Diva solch ein elliptisches Ruder zu haben, was damals ziemlich radikal war. Also rief Rolf mich an und fragte, ob ich das entwerfen könne. Nachdem Diva dann mit den anderen zusammen den Admiral’s Cup gewonnen hatte, meinte Fietje scherzhaft zu mir: Naja, du hast ja auch einen winzigen Anteil daran!” Aber bald darauf kam Torsten als dritter Partner mit in die Firma. Worauf Fietje ankündigte: “Gut, dass ein jüngerer in die Firma kommt. Ihr solltet wissen, dass ich an meinem 60. Geburtstag in den Ruhestand gehen werde!” Das war damals aber noch weit in der Zukunft und Rolf und Torsten nahmen es nicht wirklich ernst.
Tatsächlich wurden von J/V neben reinen Rennyachten fast alle nur denkbaren Boote entworfen. Daysailer, Fahrtenyachten, Superyachten, Motorboote, selbst Berufsschiffe wir Fähren und andere. Wie oft kann man ein Segelboot eigntlich neu erfinden? Fietje lacht: “Jedes Mal wieder!” Torsten: “Die Kunden kommen mit Ideen und Visionen zu uns, und wir versuchen, diese in die Realität umzusetzen. So ist jedes einzelne Projekt wirklich einzigartig.” Rolf: “Keines unserer Boote sieht dem anderen wirklich ähnlich. Das moderne Marketing sagt, dass eine Corporate Identity so wichtig ist, dass Produkte sofort wiedererkennbar sein müssen, aber wir machen ja eher das Gegenteil davon.” Torsten: “Das ist ein Vorteil, weil wir so viele verschiedene Bootstypen entwerfen können. Aber es ist auch ein Nachteil, denn niemand wird sagen: Oh schau, das ist ein Boot von J/V!”
Machen sie auch Klassiker? Torsten: “Natürlich. Gerade haben wir einen modernen Klassiker entworfen, sehr elegant, für einen Kunden aus Japan. Wir begleiten auch die Sanierung eines 150 Jahre alten Segelschiffes, allerdings mehr mit dem Engineering.” Und Meter-Klasse Yachten? “Klar. Ein Sechser, der hier bei uns von Tobias entworfen wurde, hat gerade die Weltmeisterschaft gewonnen.“
J/V war viele Jahre lang intensiv mit dem America’s Cup beschäftig, sogar schon in der 12er-Ära. Rolf: “Es gab im Laufe der Jahre eine ganze Reihe von Initiativen für eine America’s-Cup-Kampagne. Die erste war Anfang der 1980er Jahre, von einer Gruppe von Seglern wie Michael Schmidt, Rudi Magg und einigen anderen. Wir waren auch beteiligt und hatten alle großen Namen der deutschen Industrie hinter uns, wie Porsche, Lufthansa und so weiter. Wir hatten auch schon den alten schwedischen 12er gekauft. Dann fuhren Michael und ich nach Newport, um uns die Cup-Rennen anzusehen. Was wir sahen, war das Ende unserer Kampagne. Alle unsere Geldgeber verloren das Interesse, als die Australier gewannen, sie waren natürlich am amerikanischen Markt interessiert, und als der Cup nach Australien ging, war es das Ende für uns.” Fietje fügt hinzu: “Immerhin haben wir einen 12er entworfen!”
Wirklich ernst wurde es 1999. Rolf: “Das spanische Team wandte sich an mich als Person, nicht an die Firma J/V. Das waren damals die Regeln, es mussten Einzelpersonen sein, die in den Teams arbeiteten, und sie mussten im jeweiligen Land leben, also zog ich nach Spanien!” Torsten: “Später, im Jahr 2001, wollte Illbruck auch eine Kampagne starten. Wir entwarfen und bauten das Boot für ihn, als J/V, während Rolf bereits für das Alinghi-Team in der Schweiz arbeitete. Es musste alles komplett getrennt bleiben, verschiedene Konten und sogar verschiedene Büros innerhalb unserer Firma, als Rolf hier war, das war ziemlich surreal. Und 2005 war J/V wieder involviert, dieses Mal mit 1+1, während Rolf immer noch beim Team Alinghi war. Das Boot, das wir für Illbruck entworfen haben, wurde dann vom Team New Zealand als Trainingsboot gekauft.” Fietje: “So war es. Man könnte sagen, wir haben das neuseeländische Team schneller gemacht.” Rolf, lachend: “Aber nicht schnell genug!”
Insgesamt hat Rolf drei America’s Cup Kampagnen mit Alinghi gemacht, über einen Zeitraum von zehn Jahren. Dafür lebte er auch in der Schweiz. 2003 gewann Alinghi den Cup, 2007 konnten sie ihn erfolgreich verteidigen und dann verloren sie gegen den amerikanischen Trimaran. “Ich habe an verschiedenen Orten in der Schweiz gelebt, aber immer im französischen Teil, am Genfer See, in der Nähe von Lausanne und auch in Montreux. Aber wenn man in ein Team und ein Projekt wie dieses eingebunden ist, bekommt man nicht viel von dem Ort zu sehen, an dem man lebt. Man arbeitet 10 bis 12 Stunden pro Tag, isst mit dem Team zu Abend und fängt am nächsten Tag wieder an.”
2020 wurde Rolf Vrolijk als einer der wenigen Europäer in den America’s Cup Hall of Fame aufgenommen. Wie fühlte sich das an? “Für mich ist das sowohl eine Anerkennung als auch eine Ehre. Ich denke, ich hatte so viel mit dem America’s Cup zu tun, dass ich Teil seiner Geschichte bin. Und genau darum geht es in der Hall of Fame: um die Geschichte des America’s Cup. Für mich als Designer ist der America’s Cup natürlich etwas ganz Besonderes. Er war in gewisser Weise immer das ultimative Ziel für mich.”
Russell Coutts war es, der Rolf gleich nach dem 30th America’s Cup im Jahre 2000 in das neu gegründete Team Alinghi holte. “Zu diesem Zeitpunkt bestand das Team nur aus Ernesto Bertrarelli, seiner rechten Hand Michel Bonnefous, Russell und Brad Butterworth. In Ernestos Büro in Genf planten wir die nächsten Schritte. Auf meine Initiative hin kamen Dirk Kramer und der Computerexperte Manuel Ruiz de Elvira zu uns. Kramer war an vielen Cup-Kampagnen beteiligt gewesen. Wir brauchten jemanden mit seiner Erfahrung. Er hatte bereits 1980 mit Baron Bich zusammengearbeitet. Ernesto und Russell wollten dann noch jemanden mit Erfahrung, der die ganze Sache leitet. So kam Grant Simmer ins Spiel.”
Glaube das Team damals daran, gleich beim ersten Versuch zu gewinnen? “Nein, gar nicht. Wir wollten in der Ausscheidungsserie erfolgreich sein und die Titelverteidiger aus Neuseeland herausfordern. Schon allein wegen der sehr, sehr guten neuseeländischen Seglern in unserem Team. Wir haben als Team bei Null angefangen, aber wir sind wie eine Familie zusammengewachsen. Russell und Brad waren sich als Kiwis ohnehin sehr nahe. Das passte gut zu Ernesto. Er war jung und wollte alles mitmachen, auch die Partys. Wir waren wahrscheinlich die letzte Cup-Generation, die noch so richtig gefeiert hat!”
Seither hat sich tatsächlich sehr viel verändert. “Bis 2021 waren Tobias und ich Berater für das englische Team Ineos. Für mich ist es jetzt genug. Der Cup hat, wenn überhaupt, nur noch wenig mit dem Segeln zu tun, so wie ich es kenne. Die Teams dürfen die Boote nicht im Schlepptank oder auf dem Wasser testen. Die ersten Entwürfe für Alinghi wurden alle ausgiebig im Tank getestet, und wir bauten mehrere Boote und segelten sie auf dem Wasser gegeneinander, aber jetzt hat sich das komplett geändert. Die Ingenieure ersetzen die Designer”. Torsten fügt hinzu: “In gewisser Weise ist das typisch für unsere Zeit. Wir kommen noch aus einer echten Seglergeneration, aber das Ganze scheint jetzt in eine Art virtuelle Realität abzudriften, auch bei uns. Die Flugmaschinen, die jetzt beim America’s Cup an den Start gehen, scheinen nur noch von Daten gesteuert zu werden, wie ferngelenkt…” Rolf: “Das ganze Rennen wird komplett von den Computern gemacht, in Echtzeit. Wer auch immer das Boot steuert, macht im Grunde nur das, was der Computer sagt. Und es gibt einen Piloten, der das Boot schnell macht, indem er die Foils auf einem Computerbildschirm steuert. Wenn das Boot beim Start nicht genau bei Null mit 30 Knoten Fahrt über die Linie rauscht, ist das Rennen verloren. Und das kann man nur mit Hilfe von Computern machen. Es fing schon an, als wir den Katamaran für Alinghi gebaut haben, da ist die Crew immer gegen den Autopiloten gesegelt, weil der so viel besser steuerte als jede menschliche Steuerperson. Der Computer an Bord segelte das Boot und die Segler mussten lernen, auf dieses Niveau zu kommen.” Torsten: “Die Welt verändert sich und wir müssen uns anpassen. Das ist ein weiterer Grund, warum wir hier bei J/V den Generationswechsel vollziehen. Die alten Segler haben vielleicht keinen Bezug zum America’s Cup, wie er jetzt ist, aber die jungen schon. Wenn ich zu meinem Sohn sage: Das ist doch kein richtiges Segeln mehr, antwortet er: Mag sein. Aber es ist wirklich aufregend! Und dann muss ich zugeben: OK, vielleicht hast du ja Recht…”
Wo noch wird es große Veränderungen im Segeln geben? Torsten: “Das ist schwer zu sagen, denn es gibt so viele Dinge, die sich verändern. An Bord und in der Welt. Wir werden mehr Automatisierung haben, die Technik an Bord wird immer komplexer werden. Und das nächste große Thema ist mit Sicherheit die Frage der Hilfsantriebe. Im Moment ist das der klassische Dieselmotor, aber wir werden eine Zeit erleben, in der wir ohne ihn auskommen müssen. Volvo hat bereits einige Modelle mit Dieselmotor vom Markt genommen. Bei J/V haben wir derzeit eine Reihe von Projekten mit alternativen Antrieben, auch eine große, 80-Meter Yacht. Elektrische Antriebe sind im Moment der große Renner, aber die Reichweite bleibt ein Problem. Das ist weniger der Fall, wenn man beim Segeln seine eigene Energie erzeugen kann. Bei größeren und schnelleren Booten kann das sogar recht gut funktionieren, und wir sind dafür bekannt, schnelle Boote zu bauen. Wenn man Strom erzeugen will, muss man eine schnelle Yacht segeln – was ja sowieso viel mehr Spaß macht!”
T: Detlef Jens
F: Detlef Jens/ZVG