Wenden & Halsen in der Stratosphäre

(dank Mister Q)

Segeln in der Stratosphäre? Vom Port unter Wasser per Seilbahn zum Mond in 100 Sekunden? Mit dem Know-how des Albatros unmittelbar über dem Wasser zu neuen Distanz- und Geschwindigkeitsrekorden? Oder demgegenüber – fast irdisch-profan, doch nicht minder spektakulär – der verblüffende Kunstgriff, die Energieausbeute von Solarpanels um fast den Faktor 3 zu erhöhen? Hiervon handelt der zweite Teil unserer Reportage über Andreas Reinhard, alias Mister Q. Einem Mann, der für sein aussergewöhnliches Schaffen & Wirken eine ebenso aussergewöhnliche Guideline formuliert hat: «Wer in die Luft gegen will, muss auf dem Boden bleiben.»

Im ersten Teil haben wir bereits über seinen fliegenden Rochen sowie den wassergefüllten Beschleunigungsanzug berichtet, das «Bauen mit dem Zwischenraum» oder ein kapitales, mitten im St. Moritzersee urplötzlich auftauchendes U-Boot – ganz abgesehen von einem real verkehrt fliegenden – pardon fahrenden – Heissluftballon.

In vielen Projekten, die Andreas Reinhard in seiner edlen Tüftler-Boutique iii solutions im Zugerland bearbeitet(e), spielt ausgereizte Aerodynamik eine zentrale Rolle. Doch als Gastredner vor 400 Lehrkräften in Baar zum Auftakt des Schuljahres 2024 lag seine Botschaft nicht bei Windschlüpfrigkeit und smarter Strömungsmechanik. Im Gegenteil: er warb mit einprägsamen Metaphern für mehr jugendliche Kantigkeit, für «Profil mit Grip statt weich und glatt zum Sliden». Und schloss seinen Bogen mit dem Aufruf, «Spitzbuben und Luusmeitli» nicht auf Stumpfmass zurechtzustutzen, sondern sie mit knackig-fesselnden Aufgaben packend zu fördern. Denn wir bräuchten künftig – auf persönlich, charakterlicher Ebene – mehr initiativ-konturierte Unternehmertypen als blass-nette Mitschwimmer. Der Titel seines Referats: «Das Wagen wagen». Während 20 Jahren übrigens hat Reinhard bei Schweizer Jugend forscht als Coach und Experte junge Frauen und Männer gefördert und einige von ihnen bei sich gleich ein Praktikum machen lassen.

Dieser Spirit ist in seiner «Wirkstatt», wie er sein Labor nennt, in jedem Detail spürbar, die realisierte Projekte als auch solche «in der Pipeline» betreffen. Dazu gehört STRATOKITE, etwas vom Wildesten, was mir bisher unter die Augen gekommen ist.

3D-Segeln  – am Rand zum Weltraum

«Wenn du ans Segeln auf dem Wasser glaubst», beginnt Andreas verschmitzt und gleichzeitig geschickt, «wird dir dieses etwas ungewohnte Spiel mit dem Wind in der Stratosphäre fast vertraut vorkommen, sozusagen segeln in der

3. Dimension!».

Denn Reinhard und sein Team wollen in den oberen Luftschichten, so zwischen 17.5 und 22,5 km, den Windgradienten zwischen den vertikal gegliederten «Strömungs-Stockwerken» nutzen, um zwei halbstarre grosse Kites gegeneinander zu verspannen und Auftrieb zu generieren; ein virtuoses Balancieren der Kräfte! Damit, so der Visionär, liesse sich die Position zwar nicht «auf den Punkt» halten, doch sei dies mit Wenden und Halsen wie auf dem Wasser weitgehend möglich. Der Sinn und die Vorteile einer solchen, quasi stationären Plattform liegen auf der Hand. STRATOKITE ist eine Art «irdischer Satellit», oder im Fachjargon HAPS (High Altitude Plattform System). Und damit prädestiniert für Telekommunikation (wie Starlink), Waldbrandfrüherkennung oder Wetterdienst. Und das zum Bruchteil der Kosten eines Satelliten, energieautonom und aufgrund der markant tieferen Flughöhe um ein Vielfaches genauer.

Fast überflüssig zu erwähnen, dass der sportlich affine Spitzbub (68) auch noch an Anderes denkt, zum Beispiel an eine Art Ocean Race oder Vendée Globe der Lüfte – ein Segelwettbewerb rund um die Erde am Rand zum Weltraum. Space’iger geht’s nimmer!

Mond Nummer 2

Kaum weniger abgehoben ist SKYLIFT. Der frühere Nestlé-Chef Peter Brabeck nannte es in einem überdeutlichen Statement eine Neuauflage des Eiffelturms – ein nationales Symbol für Vision & Leadership. Und der langjährige technologische Kopf des Liftbauers Schindler, Dr. Paul Friedli, attestierte den Vorarbeiten rundum professionelle Solidität – ja, er freue sich, alsbald mit Reinhard in der «Moonbar» auf den Erfolg anzustossen.

Alles begann – wie oft bei Reinhard – mit einem Anruf, hier allerdings etwas reichlich spät. Der Planungsverantwortliche einer Weltausstellung fragte nach einem fulminanten «Aufhänger», einem medialen «Highflyer» mit globaler Ausstrahlung. Und natürlich müsse es noch nie dagewesen sein, besser gleich einen gänzlich neuen Standard setzen.

Diese Story war ganz nach dem Geschmack von Reinhard. In Rekordzeit mobilisierte der quirlige Berner ein internationales Powerteam aus renommierten Experten. Allein fachliche Brillanz reichte ihm nicht. Um sich bei einem Projekt dieser Dimension nicht zu verrennen und die Erfolgschancen zu maximieren, bediente er sich eines subtil-cleveren Kunstgriffs – einem «disputiven Regulativ», wie er es nennt. Und formte eine austarierte Gruppe aus «Traumtänzern» und «Erbsenzählern» – vom Typ her Gegenspieler, die sich im Fight der Argumente rein nichts schenkten und damit wilde futuristische Dynamik mit geerdetem Realsinn verbanden.

Ein Entwurf sticht heraus, begeistert den Auftraggeber, Reinhard nennt ihn SKYLIFT. Es ist eine Seilbahn zu einer Aussichtsplattform auf 1’500 m über Grund – einer 60 Meter messenden Heliumkugel in Gestalt des Mondes; das entspricht fast der zweifachen Höhe des Burj Khalifa in Dubai, dem höchsten Bauwerk weltweit. Im Wind bewegt sich diese Art «Fesselballon» wie ein vor Anker schwojendes Schiff um die Bodenstation. Der Clou: im Umkreis von 12 km würde der künstliche Mond als gleich gross und hell wie das Original wahrgenommen. Kühnste Technologie und Magie als Einheit.

Nur ein knappes Jahr nach Projektbeginn bauen und testen seine Leute auf einem ehemaligen Militärflugplatz im Berner Oberland ein Funktionsmuster im Massstab 1:10. Alles funktioniert überraschend reibungsfrei. Die verdutzte Bevölkerung glaubt, es handle sich um ein neuartiges meteorologisches Messverfahren, und stellt keine weiteren Fragen.

Doch all dieser zielstrebige Effort reicht nicht. Die übervorsichtigen Zulassungsverfahren killen das Projekt, für das nur ein Zeitrahmen von 30 Monaten vorgesehen war. SKYLIFT fällt sozusagen ins Wachkoma, von Reinhard seither still immer wieder mit allerhand innovativer Zuwendung am Leben erhalten. Geblieben ist die Einzigartigkeit.

Natürlich gehen derartige Bruchlandungen nicht spurlos an einem so hochtourigen Frontrunner wie Reinhard vorbei. Doch mir scheint, als lernte er mittlerweile ganz gut, aus Niederlagen kein selbstbedauerndes Drama zu machen, sondern nach dem Motto «Heute ist der erste Tag vom Rest deines Lebens» zuversichtlich nach vorne zu schauen. Aus diesem Blickwinkel heraus beantwortet er dann auch meine Frage, was ihn im Kern antreibe, was einen erfolgreichen Tüftler auszeichne. Zuerst bin ich überrascht, als er Frust – die innere Auflehnung gegenüber einem unbefriedigenden oder ärgerlichen Zustand – als «Stunde Null», als Geburtsmoment manch seiner Entwicklungen bezeichnet. Denn schon oft habe sich nach einer Phase des mürrischen Herumnörgelns, sozusagen als Ventil, eine wegweisende Lösung gezeigt, also: «Konstruktive Unzufriedenheit» ist für ihn ein zentraler Schlüssel für Neues – neben der Fähigkeit, sich über Alltägliches zu wundern, neugierig auch simple Fragen zu stellen, zu viel eigenem Sichersein zu misstrauen oder dem «Unrespekt» vor dem Scheitern.

Was er damit meint, zeigt sich darin, wie Reinhard seinen Arbeitsanspruch als Tüftler definiert: «Als Entwicklungsteam sind wir dann erfolgreich, wenn es uns gelingt, in kurzer Zeit mit möglichst wenig Aufwand ein Maximum an neuen Fehlern zu generieren. Genau wegen dieser steilst möglichen Lernkurve suchen und bezahlen uns denn auch unsere Auftraggeber.”

Als wenn er diese dichten Worte etwas auflockern wollte – fügt er heiter hinzu – gäbe es fürs Erfinden kein bekömmliches Patentrezept à la Betty Bossy; und wenn er eines hätte, würde er es selbst WAVE nicht verraten.

Zurück zur Sonne

Zu neuen Ufern unterwegs ist iii solutions brandaktuell mit einer über 50jährigen Passion von Andreas; 1972 schon hat er seine Abschlussarbeit an der Mittelschule über Sonnenenergie geschrieben. Zusammen mit seinem Team und namhaften internationalen Partnerfirmen ist er daran, auf einen Schlag gleich zwei Fliegen zu treffen – den Wirkungsgrad von Photovoltaik-Panels als auch jener von Luftwärmepumpen in einem Aufwasch deutlich zu verbessern. Dazu wird die Abwärme der Solarpanels mit ventilierter Luft ab- und dem Verdampfer der Wärmepumpe zugeführt. Somit, erfahre ich, hätte das System durch die solar vorgewärmte Luft selbst im tiefsten Winter das «Gefühl, es wäre Frühling oder Herbst», die Wärmepumpe, eine Art «thermisches Getriebe», müsse darum weniger murksen und könne in einem längeren Gang arbeiten. Rasch begreife ich vieles neu, ein Schnellkurs in diversen Wissenschaftsdisziplinen; so einen Physiklehrer wie Reinhard hätte ich mir gewünscht!

Der imposante Prüfstand steht an bester Lage gleich in der Nähe und gut getarnt hinter einem Miststock eines befreundeten Bauern. Gleich fällt mir als Nautiker auf, dass die ganze Installation in einen roten und grünen Bereich aufgeteilt ist – back- und steuerbord? Der Hintergrund: hier werden mit aufwendiger Messtechnik zwei komplette Hausenergiesysteme unter realen, identischen Bedingungen miteinander verglichen – wie bisher, rot und nach dem neuen Prinzip von iii solutions, grün. Also ein knallharter untrüglicher Wettkampf zwischen alt und neu. Andreas schelmisch: «Hosenlupf und Armdrücken mit sich allein ist ja auch nicht wirklich aufschlussreich».

Bald wird die Testeinrichtung, die auf einem Anhänger montierte ist, im Grimselgebiet aufgebaut, wo sich winterähnliche Bedingungen schon Monate früher einstellen.

Schneller übers Wasser

Zurück in der «Wirkstatt» bleibe ich gebannt an einem bunten gedruckten Modell hängen, zudem seltsam asymmetrisch. Oder wirkt es auch darum so auffällig, weil ich diese Mischung aus einseitigem Flugzeugflügel und Kiteboard nicht zuordnen kann. Ist es nun ein Luft- oder Wassergefährt?

Andreas will nicht so richtig raus mit der Sprache. Es sei noch etwas gar früh für Details. Immerhin – es gehe hier um den windgetriebenen Geschwindigkeitsrekord auf dem Wasser, sozusagen das Prinzip von STRATOKITE ein paar Stockwerke tiefer nutzend, das Nasse mit dem Luftigen verbindend. Ich verstehe, dass seine kryptischen Hinweise kein Zufall sind, doch eine brennende Frage kann und will ich nicht unterdrücken: «Sag mir nur eines – spielt der Bodeneffekt dabei eine entscheidende Rolle»?

Bevor er antwortet, trifft mich sein schon vertrauter, bübisch verspielter Gesichtsausdruck. Ja, mit meiner Fährte würde ich nicht komplett falsch liegen, meint er bemüht trocken und wechselt das Thema.

2016 beteiligten sich Andreas und sein wildes Team am legendären Red-Bull-Flugtag in Zürich und flogen, angeschoben von Bobweltmeister Beat Hefti und seinen Boys, fast doppelt so weit wie die Konkurrenz. Leider kam das skurril-elegante Vehikel aufgrund eines blöden Pilotenfehlers leider nie in den Flugmodus, für den es Reinhard ausdrücklich ausgelegt hatte – das Fliegen im Bodeneffekt. Dabei «schlittert» der Flieger in Bodennähe über eine vor sich hergeschobene Luftwalze, was extrem effizient, doch alles andere als neu ist. Der Albatros als auch hiesige Wasservögel nutzen das Prinzip des Bodeneffekts aus durchaus eigennützigen, ja überlebenswichtigen Gründen, was Andreas sec mit «die Natur kann sich die zweitbeste Lösung nicht leisten» kommentiert. Heute ist der Bodeneffekt eines der Kernthemen von iii solutions, inklusive imposanter fliegerischer Nachweise.

Berstend voller Hammereindrücke bleibe ich beim Hinausgehen vor einem dekorativen Grabstein stehen. «Hier ruht auf immer und ewig MEIN KONJUNKTIV» steht in dicken Lettern geschrieben. Eine Ermahnung, dass Floskeln wie man «sollte, könnte» oder «müsste» als Ausreden «auf irgendwann» nichts taugen und das Tätigwerden im Hier und Jetzt lähmen.

Daneben eine andere Metapher, ein knallgelbes originales Fass für radioaktive Abfälle, doch hier gefüllt mit fast ebenso toxischem Müll – unter anderem «ver- führerischen Gewissheiten», «Eigen-

sabotage» oder «peinlicher Selbstüber- schätzung», laut Reinhard nicht wirklich hilfreiche Faktoren, um neue Horizonte anzusteuern.

Diese Brut- und Wirkstätte! Hier wirkt deutlich mehr als Physik und Technik. Alt Bundesrat Johann Schneider-Ammann, ein häufiger Gast, bringt es treffend auf den Punkt mit den Worten «Es ist ein Ort, an dem ich stets jünger hinausgehe, als ich hereingekommen bin».

Bereits im Moment des Gehens freue ich mich, diesen «Anti-Elfenbeinturm» bald wieder aufzusuchen, meinen Blick zu weiten und Wissenshunger zu stillen. Andreas Reinhard ist Kopf und Herz dieser Tankstelle, ein unorthodoxer, fideler, tief- und weitsichtiger Tüftler, Forscher, Coach und Hofnarr. Analytisch-strukturiert wie intuitiv unterwegs. Mit einem künstlerischen Flair für einprägsame Symbole, Begriffe und Wortspiele.

Wie zum Beispiel «Jeder Knoten war mal keiner». Und dieser Satz verfolgte mich in den anschliessenden Segelferien wie ein Mantra…

iii solutions GmbH

Andreas Reinhard
Rebmattli 9a, CH – 6340 Baar

Tel.     +41 41 760 76 74

www.iii-solutions.ch

«Wer in die Luft gehen will, muss auf dem Boden bleiben»

«The sky is not the limit. Your mind is»

Marylin Monroe

«Die Natur kann sich die zweitbeste Lösung nicht leisten»

«Jeder Knoten war mal keiner»

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